Im letzten Beitrag hat mich die Frage beschäftigt, wie es uns gelingen kann, in einer komplexen Welt als Christ den Kurs zu halten und Orientierung für die vielen Entscheidungsmomente unseres Lebens zu bekommen.
Im Umgang mit einer sich rasant verändernden Welt hilft uns zunächst einmal die Erkenntnis, dass es in den allermeisten Fällen keine einfachen Antworten gibt. Gleichzeitig merken wir aber auch immer wieder, dass einfache Antworten sehr beliebt sind und zu sogenannten Verschwörungstheorien führen können. Wenn man eine Gruppe begeisterter Fußballfans beobachtet, erkennt man auch dort schnell die Vorliebe für einfache Antworten. In der Regel ist bei einem verlorenen Spiel der eigenen Mannschaft der Schiedsrichter die einfachste Antwort. Durch den vor einiger Zeit in der Bundesliga eingeführten Videoschiedsrichter können mittlerweile viele eklatante Fehlentscheidungen korrigiert werden. Doch ein großer Teil der leidenschaftlichen Fußballfans war zunächst gar nicht von der Einführung der Videoüberprüfung begeistert. Ich habe die Vermutung, dass es unter anderem daran lag, dass der ein oder andere Fan Angst davor hatte, seine einfache Antwort bei einer Niederlage des Lieblingsvereins zu verlieren.
Ich will anerkennen, dass diese Welt komplex ist, da ich damit zugleich auch anerkenne, dass ich nicht alle Dinge können muss. Es gibt Bereiche, in denen meine beste Antwort ist: „Da kann ich nicht viel zu sagen, denn da kenne ich mich nicht mit aus.“ Vor einiger Zeit wollte ich erste Erfahrungen mit einem eigenen Aktiendepot sammeln und merkte relativ schnell, dass mich die Komplexität herausfordert. Als ich endlich einen Kauf im Bereich Wasserstoff tätigen wollte, wies mich meine Handy-App darauf hin, dass ich einen Kauf im Bereich der Risikoklasse F vornehmen möchte und meine Freigabe dafür nicht ausreicht. Hier hatte offensichtlich jemand die Komplexität von Aktiengeschäften erkannt und einen Sicherheitsmechanismus für Laien wie mich eingebaut. Danke dafür!
Die Welt ist herausfordernd komplex und der christliche Glaube macht die Dinge oftmals noch vielschichtiger. Da ist nicht nur der Aspekt der Nachfolge und die Orientierung an dem Wort Gottes. Da ist außerdem der Auftrag, den Jesus Christus seinen Jüngern mitgibt. Ich bewundere Klavier- oder Schlagzeugspieler, die es fertigbringen, mit ihren Händen jeweils unterschiedliche Dinge gleichzeitig zu machen. Mich überfordert eine derartige Koordination meiner Hände. In einigen Momenten kann sich das Leben mit Christus ähnlich anfühlen. Seinen eigenen Weg konsequent mit Gott zu gehen ist schon herausfordernd, und dann soll ich darüber hinaus meinen Blick auf andere richten und Menschen meinem Auftrag entsprechend zu Jüngern machen.
Deshalb geht hinaus in die ganze Welt und ruft alle Menschen dazu auf, meine Jünger zu werden! Tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch aufgetragen habe. Ihr dürft sicher sein: Ich bin immer bei euch, bis das Ende dieser Welt gekommen ist!«
Matthäus 28, 19-20; HfA
Was hilft dabei, den Auftrag Gottes in einer komplexen Welt umzusetzen?
Ein wichtiger Baustein ist der Blick auf die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Als Jesus in das System Menschheit eintritt, war der Erfolg seiner Mission offensichtlich von den Voraussetzungen abhängig, die er in diesem System vorgefunden hat. Wenn wir das Neue Testament lesen, dann merken wir, dass das Eintreffen Jesu in unserer Welt ideal vorbereitet gewesen ist und zum richtigen Zeitpunkt kam.
Als aber die von Gott festgesetzte Zeit kam, sandte er seinen Sohn zu uns. Christus wurde wie wir als Mensch geboren und den Forderungen des Gesetzes unterstellt. Er sollte uns befreien, die wir Gefangene des Gesetzes waren, damit wir zu Kindern Gottes werden und alle damit verbundenen Rechte empfangen konnten.
Galater 4, 4-5; HfA
Das Kommen Jesu war durch die jüdische Kultur und durch die reiche und spektakuläre Geschichte des Volkes Israels vorbereitet worden. Jesus fand eine Sprache und eine Geschichte vor, die es ihm ermöglichte anzuknüpfen und die Offenbarung Gottes in einer ganz neuen Intensität fortzusetzen.
Jesus entgegnete ihm: »Ich bin nun schon so lange bei euch, und du kennst mich noch immer nicht, Philippus? Wer mich gesehen hat, der hat auch den Vater gesehen. Wie also kannst du bitten: ›Zeig uns den Vater‹?
Johannes 14, 9; HfA
Auch Johannes der Täufer war eine ideale Vorbereitung für das Kommen und den Auftrag von Jesus Christus. Er lieferte einen hervorragenden Anknüpfungspunkt und so konnte Jesus auch einige seiner Jünger aus dem direkten Umfeld von Johannes dem Täufer gewinnen.
»Jemand ruft in der Wüste: ›Macht den Weg frei für den Herrn! Räumt alle Hindernisse weg!‹«
Markus 1, 3; HfA
Johannes der Täufer und zwei seiner Jünger waren am nächsten Tag wieder an dieser Stelle, als Jesus vorüberging. Da schaute Johannes ihn an und sagte: »Seht, dies ist Gottes Opferlamm!« Als die beiden Jünger das hörten, folgten sie Jesus. Jesus drehte sich zu ihnen um, sah sie kommen und fragte: »Was sucht ihr?« Sie antworteten: »Rabbi, wo wohnst du?« »Kommt mit, dann werdet ihr es sehen!«, sagte Jesus. Also gingen sie mit Jesus dorthin, wo er wohnte. Es war ungefähr vier Uhr nachmittags, und sie blieben bei ihm bis zum Abend.
Johannes 1, 35-39; HfA
Nach der Himmelfahrt Jesu zeigt sich bei der Mission seiner Jünger wieder, dass der Zeitpunkt der Menschwerdung kein Zufall gewesen ist. Außerhalb Israels waren die Voraussetzungen für die Verbreitung des Evangeliums ausgezeichnet. Der Hellenismus, der Pax Romana, die gute Infrastruktur. Die Transformation des Römischen Reiches knüpfte an Elemente an, die das System bereits hatte. So wurde eine Veränderung von innen möglich.
Was mir bei der Erfüllung meines Auftrages hilft, ist die Erkenntnis, dass der Vater nicht nur die Sendung seines Sohnes Jesus Christus vorbereitet hat, sondern auch deine und meine Sendung. Der oben bereits zitierte Auftrag aus Matthäus 28 ist klar. Wo immer die Umsetzung dieses Auftrages uns hinführt, dürfen wir mit Systemelementen rechnen, die eine nachhaltige Veränderung ermöglichen. Der romantische Satz „Du bist geboren für eine Zeit wie diese“ wird plötzlich zur theologischen Wahrheit. Wenn wir in der Nachfolge nach Synchronisation mit dem Vater streben, dann können wir uns auf vorbereitete Werke verlassen. Ich muss plötzlich nicht mehr alle Dinge krampfhaft erzeugen, sondern darf auf vorbereitete Elemente warten, um sie zur richtigen Zeit zu nutzen. Das heißt natürlich nicht, dass alles immer bequem ist. Aber es bedeutet, dass ein gewisser roter Faden in meinem Leben sichtbar wird.
Die Fragen zur Umsetzung unseres gottgegebenen Auftrages lauten also häufig: Was ist schon da in meinem Leben und Umfeld, was ich bisher möglicherweise ignoriert oder verachtet habe? Wie kann ich diese Dinge aufgreifen? Wo hat Gott bereits Dinge vorbereitet? Solche Fragen sind gesund, da sie uns selbst aus dem Mittelpunkt des Geschehens herausrücken und verstärkt nach dem Willen Gottes fragen. Berufung ist dann nicht mehr so sehr egozentrierte Selbstverwirklichung, sondern wird mehr und mehr zu dem Wunsch, Teil von einem großen Werk Gottes zu sein. Hier dient uns Jesus als Vorbild, der die Dinge getan hat, die er bei seinem Vater gesehen hat.
Auf diese Anschuldigungen der führenden Juden entgegnete Jesus: »Ich sage euch die Wahrheit: Von sich aus kann der Sohn gar nichts tun, sondern er tut nur das, was er den Vater tun sieht. Was immer aber der Vater tut, das tut auch der Sohn! Denn weil der Vater den Sohn liebt, zeigt er ihm alles, was er selbst tut. Der Sohn wird noch viel größere Wunder tun, weil der Vater sie ihm zeigt. Ihr werdet staunen!
Johannes 5, 19-20; HfA
- Sommerfeld, Harald. „Mit Gott in der Stadt: Die Schönheit der urbanen Transformation (Transformationsstudien)“.