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Kirchengeschichte

Gütergemeinschaft

Vorsichtig sollten wir aber sein, wenn der Versuch unternommen wird, aus der Bibel entnommene Systeme oder Strukturen ohne gründliche Reflexion in ein anderes kulturelles Gemeindeumfeld zu übertragen. Die Verfasser des Neuen Testamentes verfolgten nicht das Ziel, eine fertige Kirchenverfassung vorzulegen.

Wer sich insbesondere im Kontext freikirchlicher Gemeinden bewegt, wird vermutlich nach einer gewissen Zeit mit der Sehnsucht einiger Menschen konfrontiert sein, die Zustände der urchristlichen Gemeinschaft wiederherzustellen. Idealbild dieser Gemeinschaft ist häufig die erste Gemeinde in Jerusalem.

Aber ist das wirklich sinnvoll? Welche Rolle spielt beispielsweise der kulturelle Hintergrund der biblischen Berichte über die Urgemeinde? Gibt es überhaupt eine explizite Aufforderung dazu, die ursprünglichen Zustände zur Richtlinie beim Gemeindebau zu machen? Hat Lukas in der Apostelgeschichte eventuell sogar ein idealisiertes Bild dieser Gemeinde gezeichnet?

Diese Überlegungen zur Urgemeinde möchte ich in diesem Beitrag anhand der Gütergemeinschaft in Apostelgeschichte 4 betrachten.

Als sie gebetet hatten, bebte die Erde an dem Ort, wo sie zusammengekommen waren. Sie wurden alle mit dem Heiligen Geist erfüllt und verkündeten furchtlos Gottes Botschaft. Alle, die zum Glauben an Jesus gefunden hatten, waren ein Herz und eine Seele. Niemand betrachtete sein Eigentum als privaten Besitz, sondern alles gehörte ihnen gemeinsam. Mit großer Überzeugungskraft berichteten die Apostel von der Auferstehung des Herrn Jesus, und alle erlebten Gottes Güte. Keiner der Gläubigen musste Not leiden. Denn wenn es an irgendetwas fehlte, war jeder gerne bereit, Häuser oder Äcker zu verkaufen und das Geld den Aposteln zu übergeben. Die verteilten es an die Bedürftigen.

Apostelgeschichte 4, 31-35; HfA

In Vers 31 wird davon berichtet, dass die Gemeinde / Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist erfüllt gewesen ist und die Botschaft Gottes verkündeten. Doch die Erfüllung mit dem Heiligen Geist ermöglichte nicht nur das furchtlose Zeugnis. Vers 32 führt uns eine Gemeinschaft vor Augen, die von Liebe geprägt ist, sodass die Macht von Besitz gebrochen zu sein scheint. Der anschließende Vers 33 führt direkt zurück zur Evangeliumsverkündigung und zeigt auf, dass es nicht primär um eine soziale Umwälzung geht. Stattdessen stärkte der Umgang mit den persönlichen Vermögenswerten innerhalb der Gemeinde die Zeugniskraft der Apostel. Die Fürsorge für die Bedürftigen und die Rolle der Apostel bei der Verwaltung und Zuteilung von Verkaufserlösen ist der Fokus der folgenden zwei Verse. Der Verkauf von Eigentum und die Übergabe an die Apostel ist der praktische Weg gewesen, auf dem sich der göttliche Segen in der Versammlung verteilt hat. Die genaue Ausgestaltung der Verwaltung und Verteilung erfahren wir hier jedoch nicht. Vermutlich hat man sich an der funktionierenden Praxis der jüdischen Gemeinden orientiert.

Wir erkennen in der Untersuchung zunächst einmal also einen für die Verkündigung förderlichen Charakter der Gütergemeinschaft. Von Bedeutung ist außerdem, dass die Gemeinschaft in Jerusalem vielfach aus galiläischen Jüngern bestand, die ihre Heimat und Erwerbsgrundlage aufgegeben hatten. Durch ihr Vorbild und aufgrund des konkreten Bedarfs gaben die Gemeindeglieder großzügig. Auch die besondere Situation der Stadt Jerusalem hilft uns bei der Einordnung der Berichte. Die Stadt war dicht bevölkert und durch ihre Lage keine ideale Handelsstadt. Die Erwerbsquellen waren nicht besonders zahlreich. Zuletzt ist an dieser Stelle die eschatologische Grundstimmung zu nennen. Die Erwartung der Wiederkunft Christi war aufgrund der Geschehnisse in Jerusalem sehr präsent. Somit verloren die eigene Existenzsicherung und Vorsorge an Gewicht.

Man erkannte auch in Jerusalem schon bald, dass es ohne langfristige und umfassendere Strukturen zu Schwierigkeiten kommen kann. Man erkennt das Streben nach einer festeren Organisation, um die Versorgung wirksamer zu gestalten. Von dem Abschluss dieses Prozesses wird in der Apostelgeschichte nicht vollumfänglich berichtet.

Weitere neutestamentliche Berichte helfen dabei, die Thematik der Gütergemeinschaft in Apostelgeschichte 4 besser zu verstehen. Da ist beispielsweise der Bericht über Ananias und Saphira (vgl. Apg 5, 1‒11). Ananias und seine Frau Saphira verkauften ein Grundstück brachten einen Teilerlös zu den Aposteln. Sie gaben vor, den gesamten Erlös zu spenden. Sie werden mit der Lüge konfrontiert und müssen sterben. Petrus fragt im Laufe der Konfrontation:

Hättest du es nicht als dein Eigentum behalten können? Und als du es verkauft hattest, war es nicht in deiner Gewalt?

Apostelgeschichte 5, 4; SCH2000

Sie hatten offensichtlich die Möglichkeit, ihren Besitz zu behalten oder den Verkaufserlös nach ihren Wünschen zu nutzen und aufzuteilen. Der Fehler lag also nicht direkt im Umgang mit dem Erlös, sondern in der Lüge. Es zeigt sich, dass es in der urchristlichen Gemeinschaft keinen Zwang gab, sein Eigentum zu verkaufen und die Erlöse vollumfänglich zur Verfügung zu stellen.

Ein weiterer Hinweis dazu ist in Apostelgeschichte 12, 12 zu finden. Dort wird berichtet, wie Maria ihr Haus der Gemeinde zur Verfügung gestellt hat. Offensichtlich gehörte ihr das Haus weiterhin und sie leistete ihren Beitrag durch eine teilweise Nutzungsüberlassung ihrer Immobilie.

Die in Apostelgeschichte 4 beschriebene Form der Gütergemeinschaft finden wir bei keiner anderen neutestamentlichen Gemeinde. Hier wird eine Sonderstellung deutlich. Diese Stellung bestätigt sich auch darin, dass Paulus mit großem Einsatz für die dortige christliche Gemeinschaft Geld sammelte (2 Kor 8‒9; Röm 15, 25‒31). Dieser Umstand verdeutlicht außerdem, dass die Güter der Jerusalemer Gemeinschaft irgendwann aufgezehrt gewesen sind.

Insgesamt scheint in den Berichten des Neuen Testamentes eine Bewegung zu einer gewissen Institutionalisierung erkennbar zu sein. Klar ist aber auch, dass die Institutionalisierung nicht abgeschlossen ist, als die neutestamentliche Berichterstattung endet. Beim Wunsch nach einer Wiederherstellung des urchristlichen Zustandes ist dieser Aspekt zu berücksichtigen. Die Berichte enden mitten in einem nicht abgeschlossenen Prozess. Wir können nicht ohne Weiteres normative Aussagen bezüglich dauerhaft gültigen Gemeindestrukturen treffen. Wir können uns aber an Prinzipien orientieren. Dies betrifft auch die Frage nach dem Umgang mit Privateigentum. Das Prinzip der Großzügigkeit und der gegenseitigen Unterstützung in Notlagen zieht sich durch das gesamte Neue Testament (vgl. z.B. Lk 6, 38; 2 Kor 9). Vorsichtig sollten wir aber sein, wenn der Versuch unternommen wird, aus der Bibel entnommene Systeme oder Strukturen ohne gründliche Reflexion in ein anderes kulturelles Gemeindeumfeld zu übertragen. Die Verfasser des Neuen Testamentes verfolgten nicht das Ziel, eine fertige Kirchenverfassung vorzulegen.

Für unsere Kirchen scheint insbesondere die Rückbesinnung auf die klare Botschaft des Evangeliums von großer Bedeutung. Denn die verändernde Kraft des Evangeliums bringt in den Menschen eine Herzensveränderung hervor, die sich in der Großzügigkeit gegenüber anderen Menschen zeigt.