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Nachfolge Theologie

Nachfolge in komplexen Systemen

Die Beschäftigung mit dem Wort Gottes gibt uns die Möglichkeit, Gott kennenzulernen und eine Richtlinie für unser Handeln zu finden. Das Leben nach dieser Richtlinie auszurichten ist immer wieder auch mit Risiko verbunden, doch wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott uns Recht verschaffen wird.

Unsere Welt ist komplex, und dass nicht erst seit gestern. Aber möglicherweise ist unsere Wahrnehmung dieser Komplexität gestiegen.

Man erzählt von einer Kobra Plage in Indien während der Kolonialzeit. Ein britischer Gouverneur wollte dieser Problematik begegnen, indem er entschied, eine finanzielle Belohnung für jede abgelieferte tote Kobra auszuzahlen. Die Bevölkerung fing nun aber an, Kobras zu züchten. Als das Belohnungssystem daraufhin eingestellt wurde, ließen die Züchter ihre Schlangen frei und die Problematik verschärfte sich.

Eine ähnliche Situation könnte möglicherweise auch durch die viel diskutierte Mietpreisbremse eintreten. Sollten sich Investoren von dieses Regularien abschrecken lassen, werden in Zukunft weniger Wohnungen gebaut und die angespannte Situation auf dem Markt verschärft sich. Die Zeit wird es zeigen.

Diese Beispiele veranschaulichen das Problem von komplexen Systemen. Sie sind nicht einfach vorhersagbar und fordern uns in besonderer Weise heraus. Ein System besteht aus vielen Teilen, die miteinander interagieren. Seit einigen Jahren verfolge ich mit hohem Interesse die amerikanische Footballliga NFL. Je mehr man die unterschiedlichen Positionen und Spielzüge versteht, desto beeindruckender ist die Komplexität dieser Sportart. Es ist ein großartiges Beispiel für ein komplexes System, in dem verschiedene Teile bzw. Spieler miteinander interagieren.

Wir begegnen komplexen Systemen in nahezu allen Dingen, die wir tun. An unserem Arbeitsplatz, in der Gesellschaft insgesamt, in unseren Familien oder in unserer Kirche. Unglaublich viele Wechselwirkungen bestimmen unser Leben und unterschiedlichste Stimmen wollen uns beeinflussen. Auch wir versuchen ständig, auf die Menschen um uns herum Einfluss zu nehmen und müssen uns damit arrangieren, dass wir nicht der einzige Einfluss auf diese Menschen sind. Deshalb führen unser Handeln und unsere Worte auch nicht immer zu den gewünschten Ergebnissen. Der Reformator Martin Luther kannte diesen Frust und drohte wohl 1528 seiner Gemeinde damit, das Predigen einzustellen, wenn er nicht mehr Früchte des Evangeliums bei ihnen sehen würde.

Diese Welt erfordert eine hohe Kompetenz im Umgang mit Komplexität, denn wir interagieren ständig mit einzelnen Menschen oder Gruppen. Die sich aufdrängende Frage ist, wie leben wir als Nachfolger von Christus in einer komplexen Welt, die uns manchmal aufgrund ihrer diversen Ansprüche zu überfordern scheint?

Schauen wir in das Buch Daniel im Alten Testament. Daniel war ein junger Mann, der in einer turbulenten Zeit der politischen Umwälzungen und technologischen Fortschritte lebte. Das Buch beginnt etwa 600 v. Chr. Das babylonische Reich ist mächtig und erobert unter Nebukadnezar auch Jerusalem.

Im 3. Regierungsjahr Jojakims, des Königs von Juda, zog der babylonische König Nebukadnezar mit seinem Heer nach Jerusalem und belagerte die Stadt. Der Herr ließ König Jojakim in seine Hände fallen, ebenso einen Teil der wertvollen Tempelgegenstände. Nebukadnezar brachte sie in sein Land und bewahrte sie in der Schatzkammer im Tempel seines Gottes auf.

Daniel 1, 1-2; HfA

Daniel wird nach Babylon verschleppt und soll dort babylonisch geprägt werden. Er lebt in komplexen und schnelllebigen Umständen. Wie geht Daniel damit um? Wo zieht er eine Grenze bei der Neuprägung? Zunächst fällt auf, dass er bereit ist, sich in gewisser Weise anzupassen. Beispielsweise lässt er sich einen neuen Namen geben. Doch dann lesen wir von einem Augenblick, in dem Daniel eine Grenze zieht.

Daniel nahm sich fest vor, niemals von der Speise des Königs zu essen und von seinem Wein zu trinken; denn sonst hätte er das Gesetz Gottes missachtet, das bestimmte Speisen für unrein erklärt. Darum bat er Aschpenas, auf die königlichen Speisen und den Wein verzichten zu dürfen.

Daniel 1, 8; HfA

Daniel zieht eine Grenze, weil er die Heiligen Schriften kannte, in denen von unreinen Tieren die Rede ist. Obwohl es im Ersten Testament keinen Textabschnitt mit der Überschrift „Essen im babylonischen Exil“ gibt, konnte er die Texte richtig deuten und für sich anwenden. In einer komplexen Situation erkennt er den Willen Gottes aus der Heiligen Schrift. Er liest die Bibel dabei nicht wie das Handbuch für ein Auto, dass mir genau sagt, welchen Schritt ich angehen muss, wenn ein Kontrolllicht aufleuchtet. Das menschliche Leben ist zu komplex und im Laufe der Jahrhunderte zu sehr im Wandel, als dass wir die Antwort auf jede Frage explizit wie in einem Nachschlagewerk vorfinden. Die Bibel hilft uns dabei, Gott und seinen Charakter kennenzulernen. Das ist die Grundlage für ein Leben nach Gottes Willen. Denn wenn man jemanden kennt, fällt es auch leichter, den Willen dieser Person in einer konkreten Situation einzuschätzen. So ähnlich wird es wohl auch Daniel ergangen sein. Daniel hatte also zunächst in den Heiligen Schriften eine Richtlinie, weil er darin Gott kennenlernen konnte.

Darüber hinaus war er dazu bereit, ein Risiko aufgrund dieser Richtlinie einzugehen. Denn es ist ein Unterschied, ob ich etwas in der Theorie aufgrund einer Richtline verstanden habe, oder ob ich die Theorie trotz eines Risikos auch in die Praxis umsetze. Daniel gibt die Kontrolle über sein Leben aus der Hand. Er vertraut auf Gott, dass durch die spezielle Ernährung im Vergleich zu anderen Bediensteten kein Nachteil in der körperlichen Verfassung entsteht. Obwohl Daniel sich immer wieder schlau anstellt und taktisch klug vorgeht, weicht er dem Risiko nicht immer aus. So fordert er seinen Vorgesetzten auf, die Entwicklung bei Daniel und seinen Mitstreitern kritisch zu verfolgen.

Danach vergleiche unser Aussehen mit dem der anderen jungen Männer, die von der Tafel des Königs essen. Und dann entscheide, was du in Zukunft mit uns tun willst.

Daniel 1, 13; HfA

Daniel ist bereit ein Risiko einzugehen, weil er weiß, dass Gott ihm Recht verschaffen wird. Gott ist der ultimative Bürge dafür, dass am Ende Gerechtigkeit herrscht. Dieser Gedanke wird schon in seinem eigenen Namen Daniel deutlich („mein Gott ist Richter“ / „Er wird ihm Recht verschaffen“).

Sag dir die Gebote immer wieder auf! Denke Tag und Nacht über sie nach, damit du dein Leben ganz nach ihnen ausrichtest. Dann wird dir alles gelingen, was du dir vornimmst.

Josua 1, 8; HfA

In diesem Vers und im Leben von Daniel finden wir eine Orientierung für das Leben mit Gott in einer komplexen Welt. Die Beschäftigung mit dem Wort Gottes gibt uns die Möglichkeit, Gott kennenzulernen und eine Richtlinie für unser Handeln zu finden. Das Leben nach dieser Richtlinie auszurichten ist immer wieder auch mit Risiko verbunden, doch wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott uns Recht verschaffen wird.


  • Sommerfeld, Harald. „Mit Gott in der Stadt: Die Schönheit der urbanen Transformation (Transformationsstudien)“.