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Theologie

Die Genealogie Josephs

Anhand eines Beispiels, das mir selbst schon früh Rätsel aufgab, möchte ich zeigen, dass diese Ahnenreihen nicht zur Ermüdung des Lesers oder zur allgemeinen Rechtfertigung für die Menschheitsgeschichte oder die des Volkes Israels gedacht sind.

Vor einiger Zeit kam in einem Vortrag, den ich hörte, die Frage nach dem Sinn der endlos erscheinenden Stammbäume der Bibel auf, die für den Leser heutiger Zeit zum Teil sehr trocken wirken und das lineare Bibellesen herausfordernd machen. Anhand eines Beispiels, das mir selbst schon früh Rätsel aufgab, möchte ich zeigen, dass diese Ahnenreihen nicht zur Ermüdung des Lesers oder zur allgemeinen Rechtfertigung für die Menschheitsgeschichte oder die des Volkes Israels gedacht sind.

Meine Frage richtete sich an die Ahnenfolge aus dem Matthäusevangelium: Warum wird Josephs Stammbaum aufgezeigt, obwohl er nach christlichem Verständnis Adoptivvater, aber nicht biologischer Vater Jesu war?

Es gibt allgemeine Übereinstimmungen, dass der Stammbaum bei Matthäus zu Joseph und der im Lukasevangelium zu Maria gehört. Die allgemeine Begründung der Erwähnung von Josephs Stammbaum lautet, dass er von königlicher Linie des Hauses Davids abstammte, er war offenkundiger Erbe des Throns. Weil Jesus Adoptivsohn Josephs war, konnte er aufgrund dessen sein Recht auf den Thron behaupten.

Lukas Stammbaum weist aber die wirkliche Linie auf, dass Jesus durch Maria ein Nachkomme Davids war. Diese Tradition ist im Judentum allgegenwärtig, das ‚jüdisch-Sein‘ wurde und wird über die mütterliche Linie weitergeben. So empfing Jesus seine Abstammung aus dem Haus Davids durch Maria und das Recht zu herrschen durch seinen Vater Joseph. Daher sind beide Stammbäume zur Legitimierung notwendig, um Jesus Recht auf den Thron Davids festzuhalten.

Matthäus jedoch beweist mit der Aufzählung der Ahnen, dass Jesus sein Recht auf den Thron auf keinen Fall durch Joseph hätte erben können.

Um den Thron zu besteigen, waren zwei wesentliche Voraussetzungen wichtig. Und zwar konnte im geteilten Reich nur ein Nachkomme Davids auf dem Thron des Südreiches Juda sitzen (Warnungen vor anderen Herrschern s. Jes. 7 – 8), hingegen konnte im Nordreich Samaria nur ein König bestehen, der von Gott berufen war oder die Sanktionierung durch einen Propheten erhalten hatte. Andernfalls würde er ermordet werden (s. 2.Könige 10,30;15,8 – 12).

In seiner Darstellung von der Genealogie Josephs ließ Matthäus einige zentrale Namen aus und nahm vier Frauen auf. (Mt. 1,1 – 17). Diese vier sind Tamar, Rahab, Ruth und indirekt Bathseba (Mt. 1,6). Eigentlich wurden in jüdischen Ahnenreihen Frauen nicht erwähnt mit wenigen Ausnahmen (zum Beispiel 1.Chr. 2,4.18 – 21.24.34.46-49). Interessant gestaltet sich, dass diese vier keinesfalls die wichtigsten waren wie zum Beispiel Sarah oder Rebekka, die Matthäus aber ausließ.

Gründe dafür könnten gewesen sein, dass alle vier Heiden waren. Tamar und Rahab waren Kanaaniterinnen und Ruth Moabiterin. Bathseba war wahrscheinlich eine Hethiterin. Dies unterstreicht den zentralen Punkt des Matthäusevangeliums: Jesus kam zuerst zu den Juden, aber auch Heiden sollten von seinem Kommen profitieren.

Weiterhin spannend gestaltet sich, dass drei der vier Frauen in verschiedener Art von sexueller Sünde involviert waren: Bathseba war des Ehebruchs, Tamar des Inzests und Rahab der Prostitution schuldig. Ruth beging keine sexuelle Sünde, war aber durch ihre Abstammung von sexueller Sünde betroffen: Nämlich durch die inzestuöse Beziehung von Lot und seinen Töchtern. Ein möglicher Hinweis des Autors darauf, dass Jesus kam, um Sünder zu retten.

Doch Frauen, Heiden oder Sünder waren nicht Hauptaugenmerk des Stammbaumes, sondern Jesus selbst. Daher begann Matthäus mit Abraham zu David, wählte danach Salomo aus Davids Söhnen aus und zog die Ahnenreihe bis Jojachin (Mt. 1,11), dann weiter zu Joseph.

Dadurch wird die direkte Nachkommenschaft Josephs bewiesen, trotzdem folgt daraus, dass Joseph niemals Erbe des Thrones Davids hätte werden können.

24 So wahr ich lebe, spricht der HERR, wenn auch Konja (Abkürzung für Jojachin), der Sohn Jojakims, der König von Juda, ein Siegelring an meiner rechten Hand wäre, würde ich dich doch von dort wegreißen. 25 Und ich werde dich in die Hand derer geben, die nach deinem Leben trachten, und in die Hand derer, vor denen du dich fürchtest, und in die Hand Nebukadnezars, des Königs von Babel, und in die Hand der Chaldäer. 26 Und ich werde dich und deine Mutter, die dich geboren hat, in ein anderes Land schleudern, wo ihr nicht geboren seid. Dort werdet ihr sterben.

27 In das Land aber, in das zurückzukehren sie Verlangen tragen, dorthin werden sie nicht zurückkehren. 28 Ist denn dieser Mann Konja ein verachtetes Gefäß zum Zertrümmern oder ein Gerät, an dem niemand Gefallen hat? Warum wurden sie weggeschleudert, er und seine Nachkommen, und in ein Land geworfen, das sie nicht kannten? 29 Land, Land, Land, höre das Wort des HERRN!

30 So spricht der HERR: Schreibt diesen Mann auf als kinderlos, als einen Mann, dem nichts gelingt in seinen Tagen! Denn von seinen Nachkommen wird es nicht einem gelingen, auf dem Thron Davids zu sitzen und weiterhin über Juda zu herrschen.

Jer. 22,24 – 30

In den Tagen Jeremias sprach Gott den Fluch über Jojachin wegen seines Charakters aus. Der Fluch nimmt an Intensität weiter zu: von der Verkündigung der Verschleppung nach Babylon, zum Sterben im Exil ohne Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat und zu dem Aufruf, die Erde solle aufhorchen, dass kein Nachkomme jemals das Recht haben würde, auf dem Thron Davids zu sitzen (Jer. 22,30). Vor Jeremias Ausspruch musste man von David abstammen, danach galt nur noch der als würdig, der von David, aber nicht von Jojachin abstammte.

Das ist eine mögliche, tiefere Bedeutung hinter den zwei Stammbäumen der Evangelien. Joseph war durch Jojachin Nachkomme Davids, aber unter dem Fluch aus Jeremia 22. Daher musste die Genealogie Josephs aufgenommen werden. Matthäus tat es nicht, um zu beweisen, dass Jesus durch seinen Adoptivvater legales Recht auf den Thron beanspruchte. Sondern aus der Absicht, die Problematik des Jojachins darzustellen und dann es mit der Jungfrauenempfängnis und Geburt zu lösen. Jesus war kein Sohn Josephs im biologischen Sinne, daher gab es auch keinen Fluch auf ihm.

Lukas umgeht diese Problematik in den ersten Kapiteln und widmet sich im 3. Kapitel dem Stammbaum. Interessant ist hier, dass die Abstammungsline rückwärts aus der damaligen Gegenwart in die Vergangenheit und nicht über Salomo zu David gezogen wird, sondern Maria von einem anderen Sohn Davids, von Nathan abstammte. Dadurch war sie vollwertige Trägerin der Königswürde Davids und frei von dem Fluch der Linie des Salomo und Jojachin, zu der Joseph gehörte. Dies bedeutet, dass Jesus die erste Voraussetzung, ein Mitglied des Hauses Davids zu sein, aber nicht von Jojachin abzustammen, erfüllte.

Doch diese Nachfahren mit gleicher Voraussetzung gab es vielfach unter den Juden. Dadurch stellt sich die Frage nach dem alleinigen Anspruch auf den Thron. Durch die Erfüllung der zweiten Voraussetzung, nämlich der göttlichen Berufung, König von Israel zu werden, wird diese gelöst. Dies wird in den Geschichten seiner Geburt deutlich wie in Lk. 1,32 der Engel vor Maria bezeugt:

Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und der Herr, Gott, wird ihm den Thron seines Vaters David geben; 33 und er wird über das Haus Jakobs herrschen in Ewigkeit, und seines Königtums wird kein Ende sein.

Schlussendlich bleibt zu sagen, dass die Genealogien in Matthäus und Lukas vier der messianischen Titel enthalten: Sohn Davids, Sohn Abrahams, Sohn Adams und Sohn Gottes (u.a. Lk. 3,38). Jeder Titel verdeutlicht andere Attribute seiner Person.

 Als Sohn Davids ist er König, als Sohn Abrahams ist er Jude, als Sohn Adams ist er Mensch und als Sohn Gottes ist er göttlich.