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Kirchengeschichte

Johannes Chrysostomos – Teil 8

Im Rückbezug auf das missionarische Verständnis der orthodoxen Kirche wird zunächst erkennbar, dass die Liturgie einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, dogmatische Überzeugungen für die Gläubigen und Nicht-Gläubigen sichtbar zu machen. Der Aspekt der Kenose Christi und sein Emporsteigen in der Auferstehung und der Himmelfahrt werden auf vielfältige Wege durch die Göttliche Liturgie des Chrysostomos im Gottesdienst erlebbar.

In der Nestorchronik wird davon berichtet, wie Fürst Vladimir von Kiew 988 n. Chr. den orthodoxen Glauben angenommen hat. Zuvor hatte er sich mit dem Islam, dem Judentum und der Westkirche auseinandergesetzt. Er sandte seine Gesandtschaft auch in einen Gottesdienst in der Hagia Sophia, wo diese nach dem Bericht nicht mehr wusste, ob sie im Himmel oder auf der Erde seien. Sie waren überwältigt von der Herrlichkeit und Schönheit, die im Gottesdienst zum Ausdruck kam. Dieser Fokus auf die Liturgie und die rituelle Gestaltung zeigt sich kennzeichnend in den Gottes-diensten der orthodoxen Kirchen und kann als ein Emporsteigen oder Emporziehen charakterisiert werden. Dieser Gedanke ist entscheidend für die Gottesdienste und das Missionsverständnis der Orthodoxie.

In der Beschreibung der Liturgie des Chrysostomos und der Untergliederung in Liturgie der Katechumenen und Liturgie der Gläubigen ist eine Aufwärtsbewegung erkennbar. Das Voranschreiten der Liturgie symbolisiert das Emporziehen der Gemeinde, welches ihren Höhepunkt darin findet, dass die eucharistische Gemeinde in den Himmel emporsteigt. Der Kirchenraum insgesamt kann so als verräumlichter Aufstieg verstanden werden, während das Kirchenschiff als Himmel gedeutet wird, in dem die Gläubigen die Engel darstellen. Es wäre aber nicht korrekt, davon ausgehend die Liturgie des Chrysostomos als antikenotisch aufzufassen. Denn die Möglichkeit des Emporziehens im Gottesdienst wird nur möglich durch das vorherige Hinabsteigen, der Kenose, des Christus. Diese Verknüpfung zwischen dem Hinabsteigen und dem Emporziehen wird besonders deutlich im Brief an die Philipper hervorgehoben:

Denn ihr sollt so gesinnt sein, wie es Christus Jesus auch war, der, als er in der Gestalt Gottes war, es nicht wie einen Raub festhielt, Gott gleich zu sein; sondern er entäußerte sich selbst, nahm die Gestalt eines Knechtes an und wurde wie die Menschen; und in seiner äußeren Erscheinung als ein Mensch erfunden, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott auch über alle Maßen erhöht und ihm einen Namen verliehen, der über allen Namen ist, damit in dem Namen Jesu sich alle Knie derer beugen, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Philipper 2,5-11; SCH2000

Die kenotischen Elemente werden schon in der beschriebenen Proskomidie und der darin enthaltenen Zubereitung von Brot und Wein deutlich. Die Liturgie betont aber auch den auferstandenen und siegreichen Christus und endet in gewisser Weise mit der Darstellung der Himmelfahrt durch die Zurückbringung der Gaben nach der Kommunion. In der Liturgie findet also die Kenose eine besondere Betonung, aber auch das Emporsteigen des Christus und die Verherrlichung des Siegreichen ist unabdingbares Element. Schon bei der Darstellung der Grundlagen des Dienstes von Johannes Chrysostomos ist deutlich geworden, dass die freiwillige Erniedrigung des Christus in der orthodoxen Kirchen eine besondere Betonung findet, da allein darin die Möglichkeit für das Emporsteigen des Menschen zu erkennen ist. Diese Darstellung findet sich in der Liturgie durch Inhalt der Gesänge und Gebete und vor allem auch in der Bildersprache der liturgischen Elemente. Hier wird Liturgie zu einem wesentlichen Faktor der orthodoxen Dogmatik.

So kann der Gottesdienst in der orthodoxen Kirche als Teilhabe am himmlischen Gotteslob verstanden werden. In den Gesängen und in den liturgischen Handlungen wird erkennbar, wie sich die irdische Liturgie mit der himmlischen Liturgie verbindet. Der Gottesdienst wird damit zu einer Verklärung nach dem Beispiel der Verklärung Jesu in den Evangelien, sodass die irdischen Gottesdienstbesucher zu Himmelsbürgern werden. Im Gottesdienst wird durch diese Verklärung der Eintritt der Menschen in das Reich Gottes sichtbar und durch die Symbolhandlungen und Worte begleitet. In der Liturgie wird der Weg zum Göttlichen erkennbar. So dient auch die Ikonostase mit der Abbildung der Ikonen diesem Zweck. Denn diese Bilderwand vor dem Allerheiligsten verdeutlicht, dass es jenseits der irdischen Realität eine himmlische Wirklichkeit gibt.

Im Rückbezug auf das missionarische Verständnis der orthodoxen Kirche wird zunächst erkennbar, dass die Liturgie einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, dogmatische Überzeugungen für die Gläubigen und Nicht-Gläubigen sichtbar zu machen. Der Aspekt der Kenose Christi und sein Emporsteigen in der Auferstehung und der Himmelfahrt werden auf vielfältige Wege durch die Göttliche Liturgie des Chrysostomos im Gottesdienst erlebbar. Die Gottesdienstbesucher hören also nicht nur dogmatische Lehrsätze, sondern erleben die Wirklichkeit des Gesagten und empfinden den Lebensweg Christi nach. Hierin ist eine Ansprache sowohl an die Nicht-Gläubigen erkennbar als auch gleichzeitig eine Erinnerung an die Gläubigen an das Leben und Wirken Christi, um davon durch Wort und Lebensweise Zeugnis zu geben. Dieses Hineinführen in die himmlische Realität hat nach dem Bericht der Nestorchronik tiefen Eindruck bei den Gesandten von Vladimir von Kiew ausgelöst und Wrogemann sieht bis heute darin die wesentliche missionarische Aktivität der orthodoxen Kirchen.

Vladimir entschied sich damit für den orthodoxen Gottesdienst mit seinen Ikonen und seiner rituellen Gestaltung. Diese Linie hält sich bis heute durch. Bei aller gebotenen Vorsicht kann man sagen, dass orthodoxe Missionen den Akzent weit weniger stark auf Bildungsarbeit und sozialen Dienst legen, als dies bei der Römisch-katholischen Kirche oder protestantischen Kirchen landläufig der Fall ist.

Wrogemann, Henning. „Missionstheologien der Gegenwart. Globale Entwicklungen, kontextuelle Profile und ökumenische Herausforderungen.