Kategorien
Theologie

Johannes Chrysostomos – Teil 9

Gerade in der Coronakrise mussten sich viele Gemeinden und Pastoren jedoch stärker auf die Laien verlassen. Dieser grundsätzliche Geist sollte beibehalten werden und für die Mission fruchtbar gemacht werden. Der Dienst der Kirche sollte sich weniger in den kirchlichen Amtsträgern zentrieren. Die Schulung und Ausstattung durch die Amtsträger sollten vielmehr stärker eine Aussendung der Gemeindeglieder zur Liturgie nach der Liturgie zur Folge haben.

In diesem letzten Blogbeitrag zum Leben und Wirken des Johannes Chrysostomos soll die Frage in den Fokus genommen werden, welche Erkenntnisse aus den vorangehenden Beiträgen intensiver für die Mission im 21. Jahrhundert fruchtbar gemacht werden sollten und wo sich dafür Ansatzpunkte ergeben.

Zunächst sei hier die bei Chrysostomos sehr klar erkennbare Sozialkritik und seine Fokussierung auf die Armen genannt. Im Anblick des weltweiten Auseinanderdriftens von Armen und Reichen ist die Kirche in besonderer Weise herausgefordert eine Antwort auf Ungerechtigkeit zu finden und sich an die Seite der Schwachen zu stellen. Die befreiungstheologischen Ansätze können hier erneut in den Fokus rücken. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern die Armenfrömmigkeit auch heute in der Breite der Kirche stärkeren Einfluss gewinnen kann, sodass Kirche nicht nur Kirche für die Armen, sondern Kirche der Armen ist. In diesem Sinne sind die Armen dann nicht mehr nur Objekt der Mission, sondern stärker Subjekt der Mission. Für die westliche Kirche heißt dieser Gedanke auch, sich deutlich stärker vom Führungsanspruch innerhalb der Christenheit zu lösen und von den Kirchen der Entwicklungsländer zu lernen und stärker die westliche Welt als Missionsfeld zu erkennen, auf dem die Hilfe von außerhalb dringend benötigt wird, um neue Impulse zu setzen.

Die Armen werden verstanden als der zentrale Träger der Missio Die in einer Welt der Ungerechtigkeiten, sie haben teil an der Mission von der Peripherie her, nämlich den verarmten Entwicklungsländern, zu den Zentren hin, nämlich den reichen und mächtigen Industrienationen des Nordens.

Wrogemann, Henning. „Missionstheologien der Gegenwart. Globale Entwicklungen, kontextuelle Profile und ökumenische Herausforderungen.

Hier rückt auch die Theologie des Herabsteigens in den Fokus, welche sich sowohl im Leben und Wirken des Chrysostomos als auch sehr deutlich in der Liturgie des Chrysostomos gezeigt hat.

Die Abwendung von einem unausgewogenen Erfolgsdenken in der Mission ist ein zweiter wichtiger Impuls aus den Untersuchungen. Die Orthodoxie unterscheidet sich im Missionsverständnis insofern von den reformatorischen Kirchen und der Römisch-katholischen Kirche, als dass die räumliche Expansion weniger als Schwerpunkt gesehen wird und stärker die Kontinuität des Gotteslob und damit eine zeitliche Perspektive und eine Wertschätzung der Bewahrung auch in schwierigen Zeiten. Dieser Schwerpunkt ist sicherlich insbesondere durch die Auseinandersetzung der orthodoxen Kirche mit dem Islam und dem Kommunismus zu begründen. Gleichzeitig ist gerade in westlichen Kirchen immer wieder auch eine Vergötzung von Zahlen und Wachstumsraten erkennbar. Mitverantwortlich ist dafür sicherlich eine Kultur, in der Leistung gerade im wirtschaftlichen Kontext eine enorme Bedeutung hat und in Zahlen und Wachstumsraten gemessen wird. Hier ist eine Korrektur notwendig, um zu verdeutlichen, dass sich im Reich Gottes Erfolg nicht nur an Zahlen messen lässt, sondern weit darüber hinaus geht. Manfred Lütz schreibt treffend zu einer Vergötzung von falschen Erfolgskennzahlen:

„Am Ende ist daran zu erinnern, dass der Kirche nie die Eroberung der ganzen Welt voraus-gesagt wurde. Das Christentum ist insofern keine Religion, die auf Erfolg aus ist. Wenn manche Christen untröstlich sind, dass nur noch so wenige Menschen die Kirche besuchen, dann sei in Erinnerung gerufen, dass der »Kirchenbesuch« bei Jesus selbst am Ende bei etwa acht Prozent lag: Nur einer von 12 Aposteln harrte unter dem Kreuz aus, »der Jünger, den er liebte«, Johannes. Und am Ende der Welt sieht das Neue Testament den großen Glaubensabfall, den Antichrist und nicht das Paradies auf Erden, sondern die Apokalypse, den dramatischen Untergang dieser Welt.“ (Lütz 2018:284)

Lütz, Manfred. „Der Skandal der Skandale.

Die Wertschätzung der Kontinuität, der Treue und des Ausharrens sollte erneut fokussiert werden, um Missionserfolge nicht nur aus einem menschlichen Erfolgs-denken heraus zu deuten.

Die Aussendung zur Liturgie nach der Liturgie ist wichtiger Aspekt der Blogbeiträge zu Chrysostomos und seiner Liturgie gewesen. Chrysostomos legte einen großen Schwerpunkt darauf, dass die Gottesdienste aufgrund der rhetorischen Fähigkeit des Predigers nicht zu einem ablenkenden Spektakel werden, sondern die Zuhörer zu einem christlichen Lebensstil ermuntern. Auch in verschiedenen Aspekten der Liturgie wurde deutlich, dass die Glieder der Gemeinde herausgefordert werden sollen, als Kirche in die Welt hineinzutreten. Die Mission wird bewusst in die Hände der Laien gelegt, welche in der Liturgie ermutigt und für die Mission zugerüstet werden sollen. Dieser Ansatz erinnert an Epheser 4,11-15 und die Zurüstung der Heiligen für das Werk des Dienstes.

Und Er hat etliche als Apostel gegeben, etliche als Propheten, etliche als Evangelisten, etliche als Hirten und Lehrer, zur Zurüstung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Erbauung des Leibes des Christus, bis wir alle zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, zur vollkommenen Mannesreife, zum Maß der vollen Größe des Christus; damit wir nicht mehr Unmündige seien, hin- und hergeworfen und umhergetrieben von jedem Wind der Lehre durch das betrügerische Spiel der Menschen, durch die Schlauheit, mit der sie zum Irrtum verführen, sondern, wahrhaftig in der Liebe, heranwachsen in allen Stücken zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus.

Epheser 4,11-15; SCH2000

Das Versäumnis der Zurüstung und der Fokus auf die Amtsträger im Dienst der Kirche zeigt sich in vielen christlichen Glaubensgemeinschaften. Gerade in der Coronakrise mussten sich viele Gemeinden und Pastoren jedoch stärker auf die Laien verlassen. Dieser grundsätzliche Geist sollte beibehalten werden und für die Mission fruchtbar gemacht werden. Der Dienst der Kirche sollte sich weniger in den kirchlichen Amtsträgern zentrieren. Die Schulung und Ausstattung durch die Amtsträger sollten vielmehr stärker eine Aussendung der Gemeindeglieder zur Liturgie nach der Liturgie zur Folge haben.

Im Dienst von Chrysostomos konnte ein Verständnis für die Notwendigkeit der Kontextualisierung aufgezeigt werden. Er sah in der Mission die Notwendigkeit der Ausbildung von einheimischen kirchlichen Amtsträgern und ermöglichte den Goten Gottesdienste in der eigenen Sprache. Nur durch die Ausbildung von Leitern innerhalb einer Kultur können in der Leitung auch kulturspezifische Gegebenheiten berücksichtigt werden. Die Ermöglichung von Gottesdiensten in der eigenen Sprache ist entscheidend, um die biblische Lehre in Begriffe zu fassen, welche für die Menschen einer Kultur zu verstehen sind. Die oben angesprochene Sozialkritik innerhalb einer Gesellschaft kann nur dann gelingen, wenn die Kultur verstanden wird und Anknüpfungspunkte für den christlichen Glauben erkannt werden.

Unsere Kritik an einer Kultur wird nur dann überzeugen, wenn sie auf Überzeugungen und Werte dieser Kultur aufbaut, die wir bejahen können.

Keller, Timothy. „Center Church.

In der Mission ist ein Überlegenheitsdenken unangebracht, welches die fremde Kultur, in der Mission stattfindet, nicht kennenlernen und wertschätzen kann. Die Liturgie ist eine Möglichkeit dogmatische Überzeugungen durch eine Bildertheologie in verschiedenen Kulturen auszudrücken und gleichzeitig durch leichte Variationen kulturelle Gegebenheiten zu berücksichtigen. In der Liturgie nach der Liturgie wird der Gläubige aufgefordert, in seiner Nachbarschaft und Familie durch Lebensstil und Barmherzigkeit Zeuge zu sein. Durch diese Übertragung der Missionstätigkeit in das private Umfeld der Gläubigen fällt Kontextualisierung deutlich leichter.

Echte Kontextualisierung heißt, dass wir die Vermittlung des Evangeliums und die Gemeindearbeit in eine bestimmte Kultur übersetzen und an sie anpassen, ohne dabei das Wesen und die Eigenheiten des Evangeliums an sich zu verändern. Für den Missionar lautet also die große Aufgabe, die Botschaft des Evangeliums in einer neuen Kultur so auszudrücken, dass sie weder unnötig fremd klingt noch den Anstoß und die Herausforderung der biblischen Wahrheit beseitigt oder verschleiert.

Keller, Timothy. „Center Church.