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Weisheitsliteratur und Wohlstand

Insgesamt zeigt sich in der Weisheitsliteratur des Alten Testamentes, dass der Reichtum kein Kriterium für die Gerechtigkeit eines Menschen ist, da Gottes Segen sich zwar im materiellen Besitz zeigen kann, aber nicht muss.

Vor allem unter dem Aspekt der praktischen Lebensführung wird in der Weisheitsliteratur des Alten Testamentes immer wieder Bezug auf die Ökonomie genommen. Ein Unterschied zu den Leitlinien der Thora nimmt die Weisheitsliteratur nicht schwerpunktmäßig das Zusammenleben der Gemeinschaft in den Fokus, sondern stärker die Lebensführung des Individuums. Sicherlich gibt es auch hier Überschneidungen, so betont auch die Weisheitsliteratur die Armenfürsorge und die Gerechtigkeit (Spr 28,27; Spr 10,2).

Die Weisheitsliteratur des Alten Testamentes umfasst vor Allem die Bücher Ijob, Sprüche und Kohelet. Dazu kommen noch einige Textpassagen aus dem Buch der Psalmen. Die Weisheitsliteratur zeichnet sich zunächst durch viele Sprichwörter aus, die in einem gedrängten Stil auf gewisse Gesetzmäßigkeiten aufmerksam machen wollen. Diese Gesetzmäßigkeiten sind häufig dem Bereich der Natur entnommen. Die vermittelten Weisheiten haben dabei einen moralischen und religiösen Inhalt. Die Weisheit wurzelt in der Gottesfurcht (Ps 111,10). Die genannten Bücher der Weisheitsliteratur sollen hier ausschnittsweise herangezogen werden, um ihre Aussagen zu den Themen Wirtschaft, Unternehmertum sowie Armut und Reichtum zu beleuchten.

Im Buch Ijob wird der Leser mit einem unternehmerisch tätigen Mann konfrontiert, dessen Reichtum am Ende des Buches ganz ausdrücklich als Kennzeichen des Se-gen Gottes beschrieben wird. Im Buch Ijob wird erkennbar, dass der Reichtum und die Grundlagen für weiteres Wirtschaften am Anfang sowie am Ende des Buches auf die Güte Gottes zurückzuführen sind.

Und der HERR segnete das spätere Leben Hiobs mehr als sein früheres; er bekam 14 000 Schafe, 6 000 Kamele, 1 000 Joch Rinder und 1 000 Eselinnen.

Ijob 42,12

Das Buch Ijob macht darüber hinaus jedoch sehr deutlich, dass sich die Gnade Gottes zwar in Reichtum zeigen kann, dieser Reichtum aber nicht die zwangsläufige Folge eines gottgefälligen Lebensstils sein muss. Es wird hier also nicht die Behauptung aufgestellt, dass Reichtum immer ein Segen Gottes ist und ein gottgefälliger Lebensstil immer diesen materiellen Reichtum auslösen wird. Vielmehr zeigt sich in dem Moment, in dem Ijob seine gesamte Habe verliert, dass er weiterhin an seiner Gottesfurcht festhält und sich somit das Verhältnis zwischen Menschen und Gott nicht auf dem materiellen Wohlstand gründet. Wäre Reichtum ein zwingendes Zeichen für das Wohlgefallen Gottes auf einem Menschenleben, dann wäre der Reichtum im Umkehrschluss immer auch eine ethische Qualifikation. Diesem Denken erteilt das Buch Ijob jedoch eine klare Absage und befindet sich damit in der Linie der Weisheitsliteratur, die den Schwerpunkt auf dem richtigen Umgang mit Reichtum als ethischer Qualifikation legt.

Das Buch Kohelet wendet sich in seiner Lehre gegen verschiedene Denk- und Lebensweisen der damaligen Zeit. Dazu zählt neben dem Fatalismus und dem Pessimismus auch der Materialismus, welcher kritisch beurteilt wird. Der Mensch wird zu einem Weg der Weisheit aufgefordert.

„Diese Weisheit ist bedächtig und anspruchslos. Sie ist zufrieden, wenn die Alltagsarbeit gut verrichtet ist. Sie freut sich an einfachem Essen und Trinken und an den Annehmlichkeiten des Familienlebens. Hat man dies, sollte man dankbar sein für alles kleine Glück.“

Guthrie, Donald. Kommentar zur Bibel: AT und NT in einem Band.

Deutlich wird die Kritik an der Geldgier im Buch Kohelet:

Wer Geld liebt, bekommt vom Geld nicht genug, und wer Reichtum liebt, nicht vom Gewinn. Auch das ist nichtig!

Kohelet 5,9

Hier zeigt sich eine Typisierung dahingehend, dass sich Geldliebe in der Unersättlichkeit äußert. Wer in den Besitz von Reichtümern gelangt ist, zeigt häufig auch eine Gier nach immer mehr. In den nachfolgenden Versen werden weitere Auswirkungen von Reichtum deutlich. So nehmen die Sorgen zu, da sich immer mehr Menschen vom Besitz des Reichen ernähren wollen (Koh 5,10). Des Weiteren raubt die Übersättigung des Reichen ihm seinen Schlaf (Koh 5,11). Der Reiche steht dauerhaft unter einem gewissen Druck, da er den Reichtum erhalten möchte und sich vor Unglücksfällen fürchten muss, die ihm das Erworbene entziehen (Koh 5,12-16). Im zehnten Kapitel des Buches Kohelet wird Herrschaftskritik an den vergnügungssüchtigen Mächtigen mit der Macht des Geldes in Verbindung gebracht. So wird darauf hingewiesen, dass die skrupellosen Herrscher in Eigennützigkeit und Faulheit ein Land und dessen Bevölkerung schwer belasten. Hinter dieser Vorgehensweise steht die Menge an Geld in den Händen der betreffenden Personen, welches die Vorgehensweise der Tyrannei und die Genusssucht ermöglicht (Koh 10,19).

In den Sprüchen wird immer wieder auf den Missbrauch im Zusammenhang mit Besitz und Reichtum hingewiesen.

Wer mit lügenhafter Zunge Schätze erwirbt, der jagt nach Wind und sucht den Tod.

Sprüche 21,6

Es wird deutlich auf die Unredlichkeit dessen hingewiesen, der über zweifelhafte und betrügerische Methoden nach Reichtum strebt. Im Buch der Sprüche rückt wie schon in den Sozialgesetzen der Thora die Gerechtigkeitsthematik in den Fokus. So sei es besser, wenig zu haben und dafür mit Gottesfurcht zu leben, als viel zu haben und sich diesen Besitz durch Streit und Hinterlist erworben zu haben (Spr 15,16-17; Spr 28,6). Immer wieder wird die Tendenz des Reichen zu einem gewissen Hochmut und Stolz herausgestellt (Spr 28,11), welcher in Kontrast zur Einsichtigkeit und Gottesfurcht gestellt wird. Wie im Buch Ijob wird also auch in den Sprüchen der Fokus daraufgelegt, dass Gottesfurcht wichtiger ist als materieller Reichtum, welcher das Herz des Menschen verderben und von Gott abwenden kann. Auch Psalm 4,7-9 zielt inhaltlich in diese Richtung und benennt den inneren Frieden und die Freude an Gott als primäres Zeichen des Wohlergehens und der Versorgung Gottes. Damit findet eine Abgrenzung zu der Überzeugung statt, dass sich dieses Wohlergehen zunächst in äußerem Reichtum zeigt. Gleiches betont auch Psalm 17,13-15, wo geradezu eine Gegenüberstellung stattfindet von den Menschen, die in Reichtum leben und denen, die gottesfürchtig und gerecht leben wollen.

Steh auf, o HERR, komm ihm zuvor, demütige ihn! Errette meine Seele von dem Gottlosen durch dein Schwert, von den Leuten durch deine Hand, o HERR, von den Leuten dieser Welt, deren Teil in diesem Leben ist, und deren Bauch du füllst mit deinem Gut; sie haben Söhne genug und lassen, was sie übrig haben, ihren Kindern. Ich aber werde dein Angesicht schauen in Gerechtigkeit, an deinem Anblick mich sättigen, wenn ich erwache.

Psalm 17,13-15

Insgesamt zeigt sich in der Weisheitsliteratur des Alten Testamentes, dass der Reichtum kein Kriterium für die Gerechtigkeit eines Menschen ist, da Gottes Segen sich zwar im materiellen Besitz zeigen kann, aber nicht muss. In diesem Beitrag wurde schwerpunktmäßig auf die Aspekte der Weisheitsliteratur aufmerksam gemacht, die den Reichtum kritisch betrachten aufgrund der vielfältigen Gefahren für den Menschen, die vom materiellen Reichtum ausgehen. Dazu zählt nicht nur die Unersättlichkeit, sondern auch aus dem Reichtum hervorgehende Sorgen oder eine Haltung des Stolzes, die dazu führt, dass der Mensch sich nicht mehr in absoluter Abhängigkeit zu Gott sieht.

„Doch alles in allem kann man wohl sagen, dass die Formen von Besitz und Eigentum, also Land, Hausbesitz, patriarchale Verfügungsgewalt über Familie und Sklaven, Gold und Metalle, Geld und Schuldguthaben sich zwar verändert, aber ihre ambivalente Konnotation beibehalten haben: Entscheidend für die Konnotation von Besitz und Reichtum ist und bleibt der Bezug zu Gott, also die Frage, ob der Reichtum oder die Gier nach Reichtum als ein Hindernis für die Beziehung zu Gott erscheint oder ob Reichtum als dankbar angenommene Gabe Gottes verstanden wird. Darüber hinaus ist die Einschätzung von Reichtum etwa in der Weisheitsliteratur wie auch im übrigen Tanach sehr pragmatisch. Damit kann weder von einer prinzipiellen Ablehnung von Reichtum und Besitz im Tanach gesprochen werden noch von einer unkritischen Bejahung von Reichtum und Besitz.“

Jäggi, Christian J. Grundbausteine einer gerechten Wirtschaftsordnung im biblischen und rabbinischen Judentum: Eine judaistisch-ethische Analyse.

Giesen, Rut von. „Ökonomie der Kirche? Zum Verhältnis von theologischer und betriebswirtschaftlicher Rationalität in praktisch-theologischer Perspektive.“

Guthrie, Donald. „Kommentar zur Bibel: AT und NT in einem Band.

Härter, Andreas & Anderegg, Johannes. „Dazwischen. Zum transitorischen Denken in Literatur- und Kulturwissenschaft.“

Jäggi, Christian J. „Grundbausteine einer gerechten Wirtschaftsordnung im biblischen und rabbinischen Judentum: Eine judaistisch-ethische Analyse.“

Kessler, Rainer. „Soziale Ungerechtigkeit und die Intervention Gottes. Armut und Reichtum als Thema des Buches der Sprichwörter.“

Stoll, Claus-Dieter. „Der Prediger.“