Kategorien
Kirchengeschichte

Philipp Melanchthon – Pädagoge und Außenminister der Reformation

Doch tatsächlich hat der Universalgelehrte Philipp Melanchthon in der Reformation neben Luther eine Rolle eingenommen, die ihm und seinem Anteil an der Erneuerung deutlich mehr Aufmerksamkeit bringen sollte. Sein Wirken ist ungemein wichtig, um die Reichweite der Reformation besser zu verstehen. Ohne den fleißigen und leidenschaftlichen Einsatz von Melanchthon wäre die Reformation sicherlich nicht annähernd so tiefgreifend gewesen, wie sie sich heute in der Nachbetrachtung darstellt.

Wenn von der Reformation die Rede ist, dann denken wir an die große kirchliche Erneuerungsbewegung im 16. Jahrhundert und insbesondere an Martin Luther. 2017 wurden 500 Jahre seit der Reformation gefeiert. Am 31.10.1517 schlug Martin Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg. Der Eindruck kann entstehen, Luther sei ein Einzelkämpfer gewesen, der im Alleingang dafür gesorgt hat, dass die Gedanken der Reformation das Angesicht Europas und der Welt verändert haben.

Doch tatsächlich hat der Universalgelehrte Philipp Melanchthon in der Reformation neben Luther eine Rolle eingenommen, die ihm und seinem Anteil an der Erneuerung deutlich mehr Aufmerksamkeit bringen sollte. Sein Wirken ist ungemein wichtig, um die Reichweite der Reformation besser zu verstehen. Ohne den fleißigen und leidenschaftlichen Einsatz von Melanchthon wäre die Reformation sicherlich nicht annähernd so tiefgreifend gewesen, wie sie sich heute in der Nachbetrachtung darstellt.

Als in Bretten, der Geburtsstadt von Melanchthon, einmal die Frage gestellt wurde, wer oder was Melanchthon ist, reichten die Antworten von einem Schauspieler, über den Papst, bis hin zu einer chemischen Verbindung.

Die Bekanntheit Melanchthons wird seiner Bedeutung nicht gerecht. Der Brettener war ein erstrangiger Reformator neben Luther. Die Reformation verdankt Luther die Impulse, Melanchthon aber die Gestaltwerdung. Ohne Melanchthons Wirken gäbe es keine evangelischen Kirchen, wie wir sie kennen.

Jung, Martin H. Philipp Melanchthon und seine Zeit.

Am 16. Februar 1497 wurde Philipp Schwartzerdt im damaligen Brettheim geboren. Seine Geburtsstadt, die heute Bretten heißt, war damals ein bedeutendes Zentrum für Handwerk und Handel. Melanchthon beschreibt seine Mutter als sehr fromm und auch sein Vater, ein Waffenschmied und Rüstmeister am Heidelberger Hof des Kurfürsten Philipp des Aufrichtigen, ist gläubig gewesen und betete regelmäßig.

Im Jahr 1508 starb Melanchthons Großvater Hans Reuter, der ihm sehr nahestand, und nur zehn Tage später erlag sein Vater einem Siechtum, welches er sich durch einen vergifteten Brunnen zugezogen hatte. Zusammen mit seinem Bruder Georg musste Philipp anschließend nach Pforzheim umziehen und wohnte dort bei seiner Verwandten Elisabeth Reuchlin. Elisabeth Reuchlin war die Schwester des berühmten Johannes Reuchlin, welcher sich besonders um Melanchthon kümmerte. 

Der fleißige und begabte Melanchthon bekam von Reuchlin eine griechische Grammatik geschenkt, in welcher sich eine Widmung befand. In dieser Widmung übersetzte Reuchlin den Familiennamen Schwartzerdt ins Griechische, sodass die Namensgebung Melanchthon entstand. Im Jahr 1509 wurde Melanchthon als Zwölfjähriger an der Universität Heidelberg immatrikuliert, wo er nach zwei Jahren den Titel Baccalaureus Artium erwarb. Ab 1512 studierte er dann an der Universität Tübingen. Als 1518 der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise einen Lehrstuhl für Griechisch an der Universität in Wittenberg errichtete, wollte er Johannes Reuchlin für diese Aufgabe gewinnen. Aufgrund seines höheren Alters lehnte dieser aber ab und empfahl stattdessen Melanchthon. Mit 21 Jahren wurde Melanchthon somit als Griechisch Professor nach Wittenberg berufen.

Am 28. August 1518 hielt Melanchthon seine Antrittsvorlesung in Wittenberg. Er thematisierte darin die Notwendigkeit einer umfassenden Bildungs- und Universitätsreform. Sein äußeres Erscheinungsbild sorgte zu Beginn seiner Rede für Erstaunen, sollte aber schnell in den Hintergrund rücken. Schon nach kurzer Zeit konnte er die Zuhörer ganz für sich gewinnen und wusste zu überzeugen. Auch Martin Luther gehörte zu den Anwesenden und war tief beeindruckt von dem jungen Professor.

Die Begegnung von Melanchthon und Luther sollte der Beginn einer Freundschaft und partnerschaftlichen Zusammenarbeit werden, die trotz Krisen aufgrund unterschiedlicher Meinungen und Vorgehensweisen lebenslang hielt. Von dieser Zusammenarbeit sollte großer Segen ausgehen, den wir bis heute weltweit wahrnehmen können. Der Einfluss von Luther machte sich im Leben von Melanchthon schnell bemerkbar. Melanchthon sagte später: „Von Luther habe ich das Evangelium gelernt“. Unter dem Eindruck von Predigten, Vorlesungen und Gesprächen mit Luther bekam Melanchthon schnell einen Einblick in die reformatorischen Lehren.

Am 19. September 1519 erlangte Melanchthon dann unter der Prüfungshoheit von Luther den theologischen Grad Baccalaureus Biblicus, wodurch er die Lehrerlaubnis zur Schriftauslegung erlangte. Die von Melanchthon in der Prüfung verteidigten Thesen waren von großer Bedeutung, da er darin die Formen traditioneller kirchlicher Heilsvermittlung ablehnte, wenn sie nicht direkt auf die Autorität der Heiligen Schrift zurückzuführen seien. Er nahm damit das bekannte sola scriptura von Luther schon vorweg und verdeutlichte, dass die Autorität der kirchlichen Konzilien unter der Autorität der Schrift anzuordnen sind. In der Folge unterrichtete Melanchthon vermehrt auch Biblische Exegese und Theologie in Wittenberg und wurde damit schon früh ein entscheidender Brückenbauer zwischen den humanen Wissenschaften und der Theologie. Dennoch wechselte der zur philosophischen Fakultät gehörende Melanchthon auch auf Anraten von Luther nicht zur theologischen Fakultät. Melanchthon verstand sich zeitlebens zuerst als Philosoph und Lehrer.

Luther schätzte die Expertise von Melanchthon und betrachtete ihn vor Allem als philologische Autorität. Melanchthon ist es auch gewesen, der Luther den entscheidenden Anstoß dazu gab, das Neue Testament zu übersetzen. Sein Anteil an der Lutherbibel beschränkte sich aber nicht nur darauf, sondern er war es auch, der zusammen mit Luther den auf der Wartburg entstandenen Entwurf vor dem Druck gründlich überarbeitete. Über die Sprachkenntnisse hinaus war Melanchthon für Luther ein wichtiger Ratgeber in theologischen Fragen. Es wird ersichtlich, dass Melanchthon und Luther beiderseits von der gemeinsamen Wirkungsstätte und der damit möglich gewordenen Verbindung profitieren konnten. Sie ergänzten sich gegenseitig, sodass eine starke Synergie der Theologie und der humanistischen Wissenschaften entstehen konnte.

Melanchthon kam mit dem Anliegen und einem nahezu fertigen Konzept einer Bildungsreform nach Wittenberg. Das wurde schon bei seiner Antrittsrede 1518 deutlich. Er betonte die Bedeutung der klassischen Fächer für die humanistischen Studien. Dabei unterteilte er in das Trivium von Grammatik, Dialektik und Rhetorik und das Quadrivium von Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie.

Für Melanchthon hatte die Bildungsreform einen festen Sitz innerhalb der reformatorischen Theologie. Für Melanchthon war es offensichtlich, dass eine gute Bildung den Menschen dazu verhilft, in der kritischen Beurteilung von entscheidenden Lebensfragen befähigt zu werden. Wenn der Mensch durch die Bildung nun in die Lage versetzt wird, die Bibel selbständig zu lesen, dann öffnet dies den Weg zu einer umfassenden Ausrichtung der gesamten Lebensführung auf den in der Heiligen Schrift erkennbaren Willen Gottes. Es wird sichtbar, dass Melanchthon über diese Argumentation hinaus darum bemüht war aufzuzeigen, dass eine gute Bildung theologisch zu begründen ist und die Anliegen der theologischen Reformation stützt. Es war ihm deshalb ein großes Anliegen, dass jeder Bürger Deutschlands eine Elementarbildung erhielt.

Wittenberg war durch Luther das Zentrum der Reformationsbewegung geworden. Aber die Durchsetzungsfähigkeit und Reichweite der Reformation wäre nicht möglich gewesen, wenn Melanchthon Wittenberg nicht zugleich zum Zentrum eines Bildungsaufbruchs gemacht hätte. Als Melanchthon 1523 Rektor der Wittenberger Universität wurde, schuf er eine neue Studienordnung. So erhielt jeder Student einen eigenen Tutor, der sich darum kümmerte, dass jeder Student einen individuellen Lehrplan aus Vorlesungen und Textstudium antiker Texte erhielt. Weil Melanchthon als Universalgelehrter großen bildungsreformatorischen Einfluss auf die verschiedenen wissenschaftlichen Felder ausübte, wurde er schon zu Lebzeiten Praeceptor Germaniae, Lehrer Deutschlands, genannt.

Wichtiger Teil der Bildungsreform wurden die von Melanchthon verfassten Schulordnungen, Lehrbücher und Lehrpläne, die sich durch enorme Verbreitung und Beliebtheit auszeichneten. Darüber hinaus wurde er bald als Berater für diverse Schulen und Universitäten tätig. Durch fundierte Gutachten konnte er die in Wittenberg begonnene Universitätsreform auch in andere Städte weitertragen, deren Universitäten er regelmäßig besuchte und auch schriftlich kontaktierte.

Der Erfolg und die langfristige Wirkung von Melanchthons bildungsreformatorischen Bemühungen sind auch damit zu begründen, dass er seine Gedanken stets sehr eng an der eigenen Praxis reflektieren und entwickeln konnte. Neben seiner Lehrtätigkeit an der Universität unterrichtete er in einer schola privata, einer Privatschule, bei sich zuhause. Melanchthon hinterließ ein riesiges Werk an verschiedenen Schriftstücken. Seine Bücher waren sehr verbreitet. Weit über die deutschen Grenzen hinaus prägte er das Bildungssystem dadurch entscheidend. Es ist nicht verwunderlich, dass diverse europäische Universitäten versuchten, den Universalgelehrten aus Wittenberg abzuwerben. Diese Versuche waren aber nie von Erfolg gekrönt.

Die von Melanchthon geförderte Bildungsreform verdient mehr Aufmerksamkeit in der Gesamtbetrachtung der kirchlichen Reformation.

Denn in der Tat, Reformation und Bildung gehören auf das engste zusammen: Menschen zu bilden, war elementares Anliegen der Reformation. Und erst als Bildungsbewegung gewann die Reformation ihre geistliche Kraft und kulturelle Wirkung.

Schneider, Nikolaus. Reformation und Bildung – eine Erinnerung an Philipp Melanchthon.

Gerade sein Schwerpunkt auf die Schulung der sprachlichen Fähigkeiten und die Betonung der Wichtigkeit der humanistischen Bildung war von großer Bedeutung. Melanchthon und Luther übergaben zudem die Verantwortung für das Schulwesen an die weltliche Obrigkeit.

In den Fürstentümern und Städten, die sich zur Reformation hielten, war das Schulwesen, das bisher eng mit Klöstern und Pfarrkirchen verbunden war, in weiten Teilen verwaist. Martin Luther und Philipp Melanchthon legten die Verantwortung für das Schulwesen nun in die Hände der weltlichen Obrigkeit, also in die der Fürsten und Magistrate. Die Reformation legte damit auch den Grundstein für ein allgemeines Recht auf Wissen und Bildung, das auch Mädchen miteinschloss.

Misja, Benjamin. Melanchthon war nicht nur Reformator, sondern auch ein bedeutender Bildungsreformer.

Melanchthon erkannte, dass Glaube und Wissen sich gegenseitig schützen können. So bewahrt der Glaube an den Schöpfergott den Wissenden vor Hochmut. Gleicherweise schützt auch die Bildung den Glaubenden vor dem Irrtum und der Überheblichkeit. Melanchthon konnte das eine nicht ohne das andere denken. Er war so eingenommen von den Gedanken der theologischen Reformation, dass er sich um die Weiterentwicklung dieser Bewegung mit Fleiß und Beharrlichkeit bemühte. Er erkannte dabei, dass die Bildung für den Erfolg entscheidend sein wird.

Melanchthon wird in der Forschung immer wieder Außenminister, Diplomat und auch Systematiker der Reformation genannt. Die Gedanken der theologischen Reformation bekam Melanchthon von Luther gelehrt. Doch um ihre Kraft zu entfalten, brauchte es eine Systematik. Diese Systematik wurde von Melanchthon 1521 mit der Loci Communes geschaffen. Gerade durch die kaiserliche Acht und den päpstlichen Bann, die Luthers Reisedienst verhinderten, übernahm Philipp Melanchthon die Rolle des Diplomaten und Außenminister der Reformation. In dieser von Melanchthon selbst nicht immer geliebten Rolle wird auch einer der großen Unterschiede zwischen Luther und Melanchthon deutlich. Luther war in seiner Vorgehensweise oft eher grob und wies durch seine starken Sprüche gegenüber der kirchlichen Obrigkeit oftmals kein besonders hohes Verhandlungsgeschick auf. Melanchthon war deutlich diplomatischer in seinen Verhandlungen und bereit zu Kompromissen, die der Sache der Reformation dienlich waren.

Kritiker werfen ihm darum heute vor, viel von der reformatorischen Botschaft verwässert, Positionen in Verhandlungen aufgegeben zu haben. Aus eigener Sicht hat er aber, gerade im Gegenteil, immer um das Beste gerungen, immer das Maximum herausgeholt. Ein Leisetreter, wie er auch bezeichnet wird, war er eher nicht.

Schütz, Ingo. Reformatorische Briefe: Die Handschrift des Sternendeuters.

Die Loci Communes aus dem Jahr 1521 ist deshalb von großer Bedeutung für die Reformation, da es sich um die erste evangelische Dogmatik handelt und damit um die erste systematische Darstellung der reformatorischen Ideen. Für die Entstehung eines lutherischen Bekenntnisses war diese Schrift entscheidend. Dieses Werk entstand aus einer Vorlesung zum Römerbrief und wurde von Melanchthon noch zweimal überarbeitet und von ihm auch in die deutsche Sprache übersetzt. Luther selbst lobte die Loci Communes überschwänglich.

Für das reformatorische Bekenntnis ist die Confessio Augustana das bedeutendste Werk. Dieses Bekenntnis wurde Kaiser Karl V. am 25. Juni auf dem Reichstag zu Augsburg von den Reichsständen dargelegt, die sich zu den Ideen Luther bekannten. Sie ist weitgehend das Werk von Melanchthon und zugleich sein bedeutungsvollstes Werk. Die Zielsetzung des Bekenntnisses war es, durch die Beseitigung von Missständen die kirchliche Einheit wiederherzustellen. Auch von der römisch-katholischen Kirche wird heute anerkannt, dass in der Confessio Augustana die gemeinsamen christlichen Grundüberzeugungen deutlich angesprochen worden sind. Sie hatte somit eine klare ökumenische Ausrichtung. Das Ziel der kirchlichen Einheit konnte nicht erreicht werden. Bis heute ist die Confessio Augustana maßgeblich für den evangelischen Glauben.

Wer sich genauer mit dem Leben und dem Wirken von Philipp Melanchthon auseinandersetzt, der wird zu der Erkenntnis kommen, das Melanchthon nicht als Reformator hinter Luther zu bezeichnen ist, sondern als Reformator und Mann neben Martin Luther. Es sollte als Wirken des Heiligen Geistes betrachtet werden, dass Luther und Melanchthon sich 1518 in Wittenberg trafen und seitdem von der gemeinsamen Basis ausgehend die Bewegung der Reformation maßgeblich steuerten.


Achenbach, Rüdiger. „Philipp Melanchthon – Reformator und Bildungspolitiker: Professur in Wittenberg und das humanistische Bildungsideal.“

d’Assonville, Victor E. „Philipp Melanchthon „Von Luther habe ich das Evangelium gelernt“.“

Frank, Günter. „Philipp Melanchthon: Leben – Werk – Wirkung.“

Frank, Günter & Lange, Axel (Hg.). „Philipp Melanchthon: Der Reformator zwischen Glauben und Wissen.“

Hagedorn, Jutta. „Reformationsjubiläum 2017: Philipp Melanchthon und Georg Spalatin: Der „Außenminister“ und der „Steuermann“.“

Jung, Martin H. „Frömmigkeit und Theologie bei Philipp Melanchthon: Das Gebet im Leben und in der Lehre des Reformators.“

Jung, Martin H. „Philipp Melanchthon und seine Zeit.“

Misja, Benjamin. „Philipp Melanchthon und seine essenzielle Rolle in der Reformation.“

Misja, Benjamin. „Melanchthon war nicht nur Reformator, sondern auch ein bedeutender Bildungsreformer.“

Schilling, Johannes. „Philipp Melanchthon: Theologie und Frömmigkeit, pietas et eruditio.“

Schmoll, Heike. „Der Lehrer der Deutschen: Die Aktualität von Melanchthons Bildungsreform.“

Schneider, Nikolaus. „Reformation und Bildung – eine Erinnerung an Philipp Melanchthon.“

Schütz, Ingo. „Reformatorische Briefe: Die Handschrift des Sternendeuters.“

Schwendemann, Wilhelm (Hg.). „Philipp Melanchthon 1497 – 1997: Die bunte Seite der Reformation; das Freiburger Melanchthon-Projekt.“

Stupperich, Martin. „Philipp Melanchthon – Reformator und Lehrer Deutschlands.“

Zimmermann, Olaf & Geißler, Theo (Hg.). „Disputationen: Reflexionen zum Reformationsjubiläum 2017.“