Wie bereits der Beiname von Johannes von Antiochia verdeutlicht, war Chrysostomos insbesondere aufgrund seiner außergewöhnlichen Rede- und Predigtbegabung bekannt und bei seinen Zuhörern außerordentlich beliebt. Obwohl er durch seine exzellente Ausbildung herausragende rhetorische Fähigkeiten besaß, war es ihm immer ein Anliegen, dass seine Predigten nicht selbst das Spektakel sind, sondern seine Zuhörer die Inhalte in ihrem Leben anwendeten. Dieser Wunsch drückte sich auch darin aus, dass Chrysostomos sehr darauf bedacht war, dass seine Ausführungen nicht nur für die intellektuelle Elite zu verstehen sind und dass der Schmuck und die Exzellenz der Rede nicht die Inhalte in den Hintergrund rücken lassen oder gar die Botschaft für das allgemeine Volk unverständlich werden lassen. Hier zeigt sich ein Rückbezug zu den bereits in den ersten beiden Blogeinträgen angesprochenen Aspekten der Demut und die Liebe des Chrysostomos für den ärmeren und damit oft auch den weniger gebildeten Teil der Bevölkerung.
Dr. Arndt Schnepper weist zudem darauf hin, dass Chrysostomos in seinen Predigten nicht zu sehr festgelegt war, sondern während des Sprechens für das Wirken des Heiligen Geistes offen gewesen ist. Er verzichtete beim Vortragen der Predigt größtenteils auf ein Manuskript, sodass auch dadurch eine gewisse Verbindung und Nähe zur Zuhörerschaft möglich geworden ist, die ihm erlaubte, den Kontext und die spezielle Anforderung der jeweiligen Situation zu berücksichtigen. Es entstand also ein sehr dialogischer Verkündigungsstil, der eine erlebte Nähe zwischen Chrysostomos und seinen Zuhörern ermöglichte.
Im letzten Blogeintrag wurde deutlich, dass sich Chrysostomos aufgrund seiner Lehre und seiner Kritik am unangemessenen Wohlstand immer wieder auf einen Konfrontationskurs mit den Eliten und Wohlhabenden begab. Er ließ sich in seiner Lehre nicht durch Drohungen oder mögliche Konflikte einschränken. Er war fest entschlossen dem Willen Gottes und der offenbarten Wahrheit der Bibel die Treue zu halten und sich dabei nicht von möglichen unangenehmen Konsequenzen abschrecken zu lassen. Ein zweites wesentliches Prinzip seiner Lehrtätigkeit ist die Liebe zu den Menschen gewesen. Chrysostomos war der Überzeugung, dass diese Liebe zu den Menschen die Quelle des Gesagten sein muss. Wenn etwas nicht aus dieser Quelle der Liebe entspringt, sollte es verworfen werden.
In der Verkündigung des Chrysostomos und den der Verkündigung zugrunde liegenden Überzeugungen lässt sich wieder der Bezug zur Missionstheologie herstellen. Zunächst kann hier auf die Beziehung zwischen Kultur und Kirche hingewiesen werden. Der Missionstheologe Lesslie Newbigin hat diese Fragen insbesondere in den 1980er Jahre aufgeworfen, von welchem auch das „Gospel and Our Culture Network“ geprägt worden ist. Wesentlicher Gedanke dieser Bewegung ist es, dass die Kirche durch die Durchwirkung des Heiligen Geistes die Aufgabe hat, sich auch konfrontativ mit der westlichen Kultur auseinanderzusetzen und kritische Rückfragen zu stellen. Die missionale Kirche muss immer wieder gesellschaftskritisch nach den heilenden Auswirkungen des Evangeliums für eine Kultur suchen. Es ist eine klare Parallele zu Chrysostomos erkennbar, der die dominierenden Akteure der damaligen Kultur kritisch hinterfragt hat. Diese Kritik bezog sich nicht nur auf Armut und Reichtum, sondern beispielsweise auch auf Gladiatorenkämpfe. In seiner Kritik ließ er sich dabei wie bereits beschrieben nicht von Drohungen und schwerwiegenden persönlichen Konsequenzen einschüchtern.
In der Liebe des Chrysostomos für seine Zuhörer lässt sich zudem ein Bezug zur Begrifflichkeit Missio Dei erkennen, wie er insbesondere auf der Weltmissionskonferenz 1952 in Willingen deutlich geworden ist. Auf dieser Konferenz wurde herausgearbeitet, inwiefern die christliche Mission als Sendung Gottes eine Sendung der Liebe darstellt:
„Die Missionsbewegung von der wir ein Teil sind, hat ihren Ursprung in dem dreieinigen Gott. Aus den Tiefen seiner Liebe zu uns hat der Vater seinen eigenen geliebten Sohn gesandt, alle Dinge mit sich zu versöhnen, auf dass wir und alle Menschen – durch den Heiligen Geist – ein werden möchten in ihm mit dem Vater in jener vollkommenen Liebe, die Gottes eigenes Wesen ist.“
Margull, Hans Jochen (Hg.). „Zur Sendung der Kirche. Material der ökumenischen Bewegung. Dokumente der Missionsbewegung 1910-1963.“
Die Mission findet ihre Begründung in der Liebe des dreieinigen Gottes. Bei Chrysostomos zeigt sich ebenfalls dieser grundlegende Fokus auf die Liebe Gottes, welche Begründung und Orientierung für den Verkündigungsdienst sein muss. Die Auswirkungen dieser grundsätzlichen Herangehensweise zeigen sich bei Chrysostomos nicht nur in einer Grundhaltung, sondern auch auf praktische Art und Weise. So hat er einen Verkündigungsstil, der durch seine oben angesprochene Freiheit sehr dialogisch ausgerichtet ist und auch spontan Bedürfnisse der Menschen und Kontext zu berücksichtigen weiß.
Immer wenn wir in den geplanten und spontanen Verkündigungssituationen unseres Lebens vor der Aufgabe stehen, Zeugnis von unserem Glauben und unseren Überzeugungen zu geben, können wir die beschriebenen Gedanken des Chrysostomos aufnehmen. Eine Grundhaltung der Liebe zu Menschen, die dabei hilft, nicht nur einen Monolog halten zu wollen, sondern Offenheit für die wirklichen Fragen und Bedürfnisse des Gegenübers zu entwickeln. Zudem braucht es immer wieder auch die Bereitschaft, sich nicht von den Meinungen von Menschen abhängig zu machen, sondern mutig zu den Wahrheiten der Heiligen Schrift auch in unbequemen Situationen zu stehen. Hier kann uns Chrysostomos zum Vorbild werden, um Schritt für Schritt darin auch Fortschritte in unserem eigenen Leben sehen zu können.
Gheorghiu, Constantin Virgil. „Johannes Chrysostomus: der Goldmund, der unliebsame Mahner.“
Schnepper, Arndt. „Frei predigen. Ohne Manuskript auf der Kanzel.“
Wrogemann, Henning. „Missionstheologien der Gegenwart. Globale Entwicklungen, kontextuelle Profile und ökumenische Herausforderungen.„