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Kirchengeschichte

Johannes Chrysostomos – Teil 2

Bestehen bleibt aber die Aufforderung an den Gläubigen, großzügig und barmherzig zu sein. Um auf diese Weise mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umzugehen, hilft die Erkenntnis, dass wir Verwalter der Dinge sind, die Gott uns in seiner Gnade geschenkt hat. Mit diesen Gnadengeschenken verantwortungsvoll umzugehen ist insbesondere in der reichen westlichen Welt eine große Aufgabe. Chrysostomos kann uns dabei eine Ermutigung zur Selbstreflexion sein.

Im ersten Blogbeitrag zum Leben und Wirken des Johannes Chrysostomos wurde an seiner Zeit als Asket bereits deutlich, dass Chrysostomos sich ausführlich mit der frühchristlichen Armenfrömmigkeit auseinandersetzte. Er hatte sich als junger Mann einer Mönchsgemeinschaft angeschlossen und sich in freiwilliger Armut in die Berge zurückgezogen. Das Mönchstum geht insbesondere auf Antonius den Großen zurück, welcher sich ebenfalls in die freiwillige Armut begab und sich dazu verpflichtete, ein Leben der Zuwendung zu den Armen zu führen. Damit wollte er dem Beispiel Christi folgen. Die Kirchenväter, so auch Chrysostomos, haben diese Gedanken durch intensives Studium der Evangelientexte und des Demutsmotivs im Alten Testament aufgenommen und weiterentwickelt.

Chrysostomos kam ursprünglich aus Antiochien, einer Stadt, die aufgrund ihrer Lage einige wirtschaftliche Vorteile hatte. So lag sie ausgesprochen günstig an wichtigen Handelsrouten und war auch aus militärstrategischer Perspektive eine wichtige Stadt. Die Versorgung der Bevölkerung war durch Zugang zu frischem Wasser und zu Anbauflächen für Getreide gesichert. Chrysostomos selbst fasst zusammen, dass etwa 10% der Stadt wohlhabend gewesen sind, 10% der Bevölkerung waren sehr arm und der Rest befindet sich in Bezug auf das Wohlstandslevel zwischen den beiden Gruppen. Später in Konstantinopel begegneten Chrysostomos andere Voraussetzungen. Die Stadt lag zwar strategisch recht gut, doch der Zugang zu frischem Wasser und Getreide war deutlich schlechter als in Antiochia. Der Hafen war für die Schifffahrt zudem nicht besonders attraktiv. Viele Jahrzehnte mussten viele Investitionen getätigt werden, damit die Infrastruktur entstehen konnte, die dem Anspruch der Stadt gerecht wurde. Zur Zeit des Chrysostomos war die Stadt Konstantinopel noch eine enorme ökonomische Belastung für das Reich. Chrysostomos kannte also die verschiedenen Lebensbedingungen sehr gut und erlebte in beiden Städten das Elend der auf Almosen Angewiesenen.

Johannes Chrysostomos verstand sich selbst ausdrücklich als Botschafter der Armen und klagte immer wieder unmissverständlich das Leben im Luxus und die mangelnde Barmherzigkeit der Reichen und Mächtigen an. Aus seiner Sicht war die Gütergemeinschaft, wie sie beispielsweise in Apostelgeschichte 4 deutlich wird, der ideale Umgang mit Besitztümern und dementsprechend dem Privatbesitz vorzuziehen. In besonderer Weise bestimmte das Gleichnis vom Weltgericht in Matthäus 25 die Haltung von Chrysostomos. Er sah es als Widerspruch zur Ebenbildlichkeit Gottes an, wenn ein Mensch unfreiwillig in materieller Armut leben musste. Der Auftrag der praktischen Hilfestellung ergibt sich für ihn aus dem Gedanken, dass dem Gläubigen in dem Armen Christus selbst begegnet.

Chrysostomos zeigt insgesamt ein hohes Engagement für den Praxisbezug des christlichen Glaubens und äußert sich wenig zu dogmatischen Glaubenssätzen. Er verbindet theologische und ethische Aspekte miteinander und ermahnt seine Zu-hörer immer wieder zu einer christlichen Lebensführung. Zentrum seiner Theologie ist dabei das Herabsteigen Gottes zu den Menschen. Hierin begründet sieht er das christliche Ideal des Gläubigen, der sich ebenfalls zu anderen Menschen herabbeugt und Barmherzigkeit zeigt. Im Anblick der extremen Gegensätze zwischen Armen und Wohlhabenden sowohl in Antiochia als auch später in Konstantinopel erwartet Chrysostomos ausdrücklich von den Christen die praktische Anteilnahme am Leid der Bedürftigen. Er fordert auf zum Almosengeben und prangert den luxuriösen Lebensstil der Mächtigen an, die keine Rücksicht auf die armen Bürger nehmen. Dadurch geriet er immer wieder in Konflikte mit den Herrschenden und Wohlhabenden, wobei es seine feste Entscheidung gewesen ist, seine Überzeugungen und die Aufforderung zum christlichen Lebensstil davon nicht einschränken zu lassen. Er wollte nie dem Drang nachgeben, den Menschen gefällig zu sein und dabei den Willen Gottes zu ignorieren.

Der Kirchenvater Chrysostomos war der Überzeugung, dass derjenige wahrhaftig reich ist, der seinen Besitz den Armen übergibt und in dieser Weise barmherzig davon Gebrauch macht. Aus seiner Sicht macht der Besitz einen Menschen schlecht und die Abgabe des Besitzes macht einen Menschen gut.

„Wie wäre es denkbar, daß der Reiche ein guter Mensch ist? Das ist unmöglich; gut kann er nur sein, wenn er Andern von seinem Reichthum mittheilt. Besitzt er Nichts, dann ist er gut; theilt er Andern mit, dann ist er gut. Solange er bloß besitzt, kann er wohl kein guter Mensch sein. Ist also Das ein Gut, dessen Besitz uns zu schlechten, dessen Entäusserung aber uns zu guten Menschen macht? Nicht der Besitz, der Nichtbesitz des Geldes läßt uns als gute Menschen erscheinen. Der Reichthum ist also kein Gut. Könntest du ihn haben und verschmähst ihn, dann bist du ein guter Mensch. Wenn wir also im Besitze von Reichthum Anderen davon mittheilen, oder wenn wir den angebotenen verschmähen, dann sind wir gut; nehmen wir ihn an, besitzen wir ihn, so sind wir nicht gut: wie könnte also der Reichthum ein Gut sein?“

Bibliothek der Kirchenväter (Hg.) 1883. „Homilien über den I. Brief an Timotheus. In epistulam II ad Timotheum argumentum et homiliae 1-18.“

Insgesamt zeigt sich bei Chrysostomos ein großer Eifer für die Menschen, die materiell in Not sind und eine klare Aufforderung an die Reichen, sich von ihrem Besitz zu lösen, um sich der Armen anzunehmen.

Auch in diesem Schwerpunkt des Chrysostomos wird der bereits im letzten Blogbeitrag angesprochene Missionsbezug deutlich. Auf der Weltmissionskonferenz 1980 in Melbourne rückte der theologische Ansatz der genetischen Christologie verstärkt in den Vordergrund, der die Entäußerung Christi betont und damit direkte Parallelen zum Schwerpunkt von Johannes Chrysostomos zeigt. Diese kenotische Mission ist insbesondere für die Kirchen des Nordens eine besondere Heraus-forderung, die dazu aufgerufen sind, nicht nur ihre Ressourcen viel stärker in den Dienst der Armen zu stellen, sondern auch ihre Machtposition aufzugeben. Ansonsten droht eine gemeinsame Mission der jungen Kirchen im Süden und der alten Kirchen im Norden auseinanderzubrechen. Es geht nun nicht mehr nur darum, eine Kirche für die Armen zu sein, sondern mehr noch zu einer Kirche der Armen zu werden.

„Noch in den 1960er Jahre war eine missionarische Ekklesiologie unter dem Schlagwort einer Kirche für andere gefasst worden. Die Proexistenz der Kirche für andere und für die Welt wurde zum Dreh- und Angelpunkt des Denkens. Diese Sichtweise wurde gegen Ende der 1970er Jahre und Anfang der 1980er Jahre noch einmal radikalisiert: Nun gilt, dass Kirche nicht nur mehr Kirche für andere, sondern Kirche für die Armen sein soll, doch damit nicht genug, sie soll aus einer Kirche für die Armen zu einer Kirche der Armen werden. Nur an der Seite der Armen kann sie ihre Sendung wirklich radikal leben.“

Wrogemann, Henning. „Missionstheologien der Gegenwart. Globale Entwicklungen, kontextuelle Profile und ökumenische Herausforderungen.“

Sicherlich können einige Aspekte aus dem Leben von Chrysostomos nicht zwangsläufig eins zu eins in den Kontext Deutschland im 21. Jahrhundert übernommen werden. So lässt sich beispielsweise der Absolutheitsanspruch einer Gütergemeinschaft nach dem Vorbild Apostelgeschichte 4 hinterfragen. Auch die Ansicht, dass Reichtum an sich einen Menschen schlecht macht, kann kritisch hinterfragt werden. So ist es eher die Liebe zum Reichtum, die das Herz des Menschen verdirbt. Bestehen bleibt aber die Aufforderung an den Gläubigen, großzügig und barmherzig zu sein. Um auf diese Weise mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umzugehen, hilft die Erkenntnis, dass wir Verwalter der Dinge sind, die Gott uns in seiner Gnade geschenkt hat. Mit diesen Gnadengeschenken verantwortungsvoll umzugehen ist insbesondere in der reichen westlichen Welt eine große Aufgabe. Chrysostomos kann uns dabei eine Ermutigung zur Selbstreflexion sein.


Allen, Pauline, Neil, Bronwen & Mayer, Wendy. „Preaching poverty in late Antiquity. Perceptions and realities.“

Bibliothek der Kirchenväter (Hg.) 1883. „Homilien über den I. Brief an Timotheus. In epistulam II ad Timotheum argumentum et homiliae 1-18.“

Brändle, Rudolf. „Johannes Chrysostomus. Bischof – Reformer – Märtyrer.“

Wrogemann, Henning. „Missionstheologien der Gegenwart. Globale Entwicklungen, kontextuelle Profile und ökumenische Herausforderungen.“