Benedikt von Nursia wurde 480 n. Chr. in Nursia (Italien) geboren. Nach seiner Schulzeit schickten ihn seine Eltern nach Rom zum Studium. Doch schnell war er von der Sittenlosigkeit und dem Verfall dort erschrocken und er zog sich für drei Jahre östlich von Rom bei Subiaco in eine Höhle zurück. Dann wurde die Bitte an ihn herangetragen, einem Kloster in Vicovaro vorzustehen. Doch aufgrund seiner Strenge in der Neuordnung traf er dort schnell auf Widerstand bis hin zu einem Mordanschlag. Er ging zurück nach Subiaco und gründete eigene Klostergemeinschaften. Doch auch hier kam es wieder zu Konflikten, sodass er 529 n. Chr. auf dem Monte Cassino südöstlich von Rom mit einer kleinen Anhängerschaft wieder ein neues Kloster gründete. Es sollte das Mutterkloster der Benediktiner werden. Hier schrieb er die Regula Benedicti und er starb dort 547 n. Chr.
Die Bedeutung Benedikts für die Entstehung Europas wird häufig dramatisch unterschätzt. Ratzinger sagte über ihn, dass er die Welt in einer Krise durch den Zusammenbruch des Römischen Reiches und einen allgemeinen Sittenverfall vorfand. Mit den Benediktinern hat er jedoch eine Antwort auf diese Krise gefunden, die zur Entstehung Europas beitrug. Sie gaben diese Antwort leise, geduldig, allmählich, in tiefer Frömmigkeit und mit harter Arbeit. Stille Männer, die nicht gesehen wurden, saßen im kalten Kloster, beteten, studierten, schrieben. Andere stille Männer wurden auf dem Feld beobachtet, beim Graben im Wald, beim Roden oder Bauen. Ora et Labora wurde Wirklichkeit bei ihnen. Aus dem Senfkorn des Glaubens wuchs eine gläubige Gemeinschaft, die errichtet worden war, um Gott zu dienen und dem Chaos und Verfall ihrer Zeit zu widerstehen.
Sein Beispiel gibt uns Hoffnung, denn es zeigt, was eine kleine Gruppe von Gläubigen ausrichten kann, wenn sie kreativ auf die Herausforderungen ihrer Zeit und Umgebung antwortet. Aber es war keine Frage von Jahren, sondern Jahrzehnten und Jahrhunderten. Benedikt ist ein Beispiel dafür, dass Gottes Geschichte mit seinem Volk nicht linear ist. Sie ist gekennzeichnet von Niederlagen und Siegen, von Exil und Landnahme, von Aufbruch und Niedergang. Es ist kein Sprint, sondern eine Wanderung. Sie kommt in Wellen zum Ziel.
Schaut man die Könige im Südreich Juda im Alten Testament an, lässt sich von 20 Herrschern über 10 sagen, dass sie nicht taten, was Gott wohlgefällig war. Sechs Könige haben das Zeugnis, dass sie ungeteilten Herzens mit Gott lebten. Vier Könige haben sich nur einen Teil ihres Lebens Gott untergeordnet, die genauen Zeiträume sind nicht ganz einfach zu bestimmen. Wenn man die Berichte liest, hat man das Gefühl, dass es ständig hin und her geht. Es ist eine Bewegung in Wellen.
Am Ende des Neuen Testamentes haben wir Berichte von ungefähr 40 Jahren Kirchengeschichte vorliegen. Wir lesen von sensationellen Aufbrüchen nach Pfingsten in Jerusalem (Apg 2,41). Auch in anderen Gegenden scheinen die Apostel und Kirchengründer erfolgreich zu sein, was die Zahl der neuen Nachfolger angeht, aber auch was die Gesundheit der Kirchen betrifft (Röm 1,8). Trotzdem hat man nach knapp 50 Jahren Einblick in Kirchen, die Wiederbelebung brauchen (Hebr 5,12 & Offb 2,4-5).
Was lernen wir aus dieser zu beobachtenden Wellenbewegung?
Zunächst stellen wir fest, dass Gott der Geber allen geistlichen Lebens ist. Ich war geistlich tot und Gott hat mir Leben eingehaucht (1 Mo 2,7 & Eph 2,4-5). Wir beten für und erwarten diesen Hauch Gottes, aber wir sollten uns nicht unsere eigenen Wünsche prophezeien. Propheten im Babylonischen Exil haben genau das getan. Sie haben prophezeit, was das Volk hören wollte. Dabei hatte Gott das Exil beschlossen.
Denn so spricht der HERR der Heerscharen, der Gott Israels: Lasst euch nicht täuschen von euren Propheten, die unter euch sind, noch von euren Wahrsagern; hört auch nicht auf eure Träume, die ihr euch träumen lasst! Denn sie weissagen euch falsch in meinem Namen; ich habe sie nicht gesandt! spricht der HERR. Fürwahr, so spricht der HERR: Wenn die 70 Jahre für Babel gänzlich erfüllt sind, werde ich mich euer annehmen und mein gutes Wort, euch an diesen Ort zurückzubringen, an euch erfüllen.
Jeremia 29,8-10
Die Wellenbewegung führt zu einer weiteren Feststellung: Mir ist keine Lehre der Bibel bekannt, dass es in Geschichte einen stetigen, unumkehrbaren Niedergang der Kirche geben wird. Es gibt keinen Grund zu sagen, dass es keine Erweckungen mehr gibt. Das Evangelium ist in 2000 Jahren Kirchengeschichte durch große Erweckungen und großen Niedergang vorangeschritten. Daher gehe ich davon aus, dass es weiter so sein wird. Es wird Zeiten des erstaunlichen Erwachens geben und es wird Zeiten des traurigen Niedergangs geben. Beide Möglichkeiten bestehen und ich muss mit beiden Dingen zurechtkommen. Gott tut mir kein Unrecht, wenn ich in eine Zeit der Exilerfahrung hineingeboren bin. Da Gott zu allen Zeiten beruft, ist die Berufung nicht abhängig von Aufbruch oder Niedergang. Die Berufung mag anders sein, aber sie ist vom gleichen Gott und hat den gleichen Wert.
Benedikt von Nursia hat seine Umgebung beobachtet und hat entsprechende Schlüsse daraus gezogen. Um dem Chaos und Verfall seiner Zeit zu begegnen, brauchte es eine Gemeinschaft, welche aus ihrer inneren Stärke die richtigen Antworten findet. Es schien nicht die Zeit für Expansion und Aufbruch zu sein, sondern die Zeit von Exil und Erneuerung mit einem zeitlichem Horizont der weit über eine oder zwei Generationen hinausgeht. Ist das denkbar für unsere Kirchen heute?
Es gibt Zeiten, in denen geht und lebt man im Exil und es gibt Zeiten, in denen kommt man aus dem Exil. Es gibt Zeiten, in denen geht und lebt man in der Arche und es gibt Zeiten, in denen kommt man aus Arche heraus. Der Fokus der westlichen Kirchen ist oft die räumliche und zahlenmäßige Expansion. Wir finden Zahlen sehr wichtig. Interessant ist, dass die Betonung in der Ostkirche stärker auch auf Kontinuität im Gotteslob, also die zeitliche Ausdehnung liegt.
Dies schreibe ich dir in der Hoffnung, recht bald zu dir zu kommen, damit du aber, falls sich mein Kommen verzögern sollte, weißt, wie man wandeln soll im Haus Gottes, welches die Gemeinde des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit.
1 Timotheus 3,14-15
stulos und hedraióma. Pfeiler und Grundfeste. Die Betonung liegt auf fest-stehend, Festigkeit, Unerschütterlichkeit. Paulus schreibt an Timotheus in Ephesus und beschreibt dabei, was die Kirche aus seiner Sicht ist. Es ist gut möglich, dass er mit diesem Bild auf den kolossalen Tempel der Artemis in Ephesus anspielt, der von 127 vergoldeten Marmorsäulen getragen wurde.
Ich bin kein Statiker, aber für mich sieht das sehr stabil aus. Es geht vielleicht weniger um die Größe und mehr um die Anzahl der Säulen. Ein interessantes Bild für unsere Kirchen. Es geht nicht zwingend um die Zahl, sondern was an Festigkeit wachsen kann. Unsere Fokussierung sollte häufiger sein, dass aufgrund entstehender Säulen auch in 2, 3 oder mehr Generationen das Gotteslob an diesen Orten nicht aufhört. Das auch dann noch die Wahrheit verkündet wird. Ich denke dieses Bild beschreibt gut, was Benedikt vor Augen hatte.
Natürlich haben wir einen missionarischen Auftrag und Drang. Auch wenn die Benediktiner eher mit dem Gedanken von Rückzug anstatt Mission gegründet wurden, waren sie später der vielleicht wichtigste Motor der Mission. Neben der Mission besteht aber auch immer die Notwendigkeit, innere Festigkeit zu betonen. Denn das missionarische Potential der Benediktiner entstand aus der inneren Festigkeit. Wir haben Bedarf an Substanz, tiefer Frömmigkeit und der Bewahrung der Wahrheit. Die Kirche muss sich immer wieder auch nach innen fest machen, um Kraft zur Erneuerung zu haben. Wir dürfen nicht nur Sandsäcke auftürmen und fröhlich proklamieren, dass wir Unmengen an Land einnehmen, sondern wir dürfen auch konzentriert Archen bauen, die den nötigen Schutz bieten und Erneuerung ermöglichen, bis unsere Füße durch Gottes Gnade tatsächlich auf neues Land gesetzt werden.
Dazu braucht es Säulen. Sie dienten in der Antike auch dazu, öffentliche Erlasse zu befestigen, die Fürsten oder Gerichte veröffentlichten und die dem Blick aller ausgesetzt werden sollten. Der Erlass unseres Fürsten Jesus lässt sich unter anderem mit Johannes 14,6 beschreiben:
Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater als nur durch mich!
Johannes 14,6
Sein Leben, seine Wahrheit und sein Weg zum Vater sind nur sichtbar, wenn die Säulen fest stehen.