Ich harre auf den HERRN, meine Seele harrt, und ich hoffe auf sein Wort. Meine Seele harrt auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen, mehr als die Wächter auf den Morgen.
Psalm 130,5-6
Beschreiben diese Worte aus den Psalmen das sehnsüchtige Warten der Kirche auf die Rückkehr von Jesus? Wir haben sein Buch, seinen Namen, seine Gaben, seine Lieder, aber nicht ihn, wie es letztlich vorgesehen ist. Das letzte Bild der Kirche in der Heiligen Schrift zeigt sie in einer Haltung der Sehnsucht. Ihre größten Hoffnungen und Erwartungen finden eine Zusammenfassung in dem Wort: Komm!
Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm! Und wen da dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst!
Offenbarung 22,17
Ja, komm, Herr Jesus!
Offenbarung 22,20b
Für unseren Glauben reicht es nicht aus, einfach zu wissen, dass Jesus wiederkommt. Mit der Zeit wird unser Herz schläfrig. „Dein Reich komme“ beginnen wir aus dem Gedächtnis zu beten, aber nicht aus dem Herzen. Deshalb sagt Jesus im letzten Kapitel der Bibel noch mehr.
Siehe, ich komme bald. Selig ist, der die Worte der Weissagung in diesem Buch bewahrt.
Offenbarung 22,7
Und siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, um einem jeden so zu vergelten, wie sein Werk sein wird.
Offenbarung 22,12
Es spricht, der dies bezeugt: Ja, ich komme bald! Amen.
Offenbarung 22,20a
In dem „ich komme bald“ liegt eine Spannung. Wenn Jesus sagt, er kommt bald, wo ist er dann? Hat sich die Bibel dann geirrt? Im griechischen Text begegnet uns das Wort tachu. Dieses Wort meint nicht immer das, was wir unter dem Begriff „bald“ verstehen. Wir denken an eine kurze Zeitspanne. Das Wort bedeutet aber regelmäßig plötzlich oder unerwartet. Man kann auch übersetzen mit „ohne unnötige Verzögerung“. Der Text sagt nicht, Jesus kommt innerhalb von 40 Jahren wieder, sondern: Gott zögert es nicht unnötig heraus und sein Kommen wird plötzlich und unerwartet sein. Die Sehnsucht der Kirche im Neuen Testament ist eng verbunden mit dem aramäischen Wort Maranatha.
Maranatha!
1 Korinther 16,22b
Der Begriff hat eine gewisse Vieldeutigkeit und Flexibilität.
Man kann marana tha lesen und dann übersetzen: Unser Herr – komm! Es ist eine Bitte an den auferstandenen Herrn, die auf das Ende dieser jetzigen Weltzeit blickt. Eine zweite Variante der Übersetzung mit dem Blick in die Zukunft wäre: Unser Herr kommt! Es handelt sich dann eher um eine Tatsachenbehauptung oder Bekenntnis und nicht um eine Bitte, die an Jesus gerichtet ist. Viele zeitgenössische Theologen haben die Gültigkeit der beiden Übersetzungen für die Zukunft anerkannt.
Man kann dieses Wort aber auch als maran atha lesen. Dann würde es heißen: Unser Herr ist gekommen! Diese Übersetzung betont die Realität in der Geschichte. Alle Varianten sind sprachlich möglich und passen zur Theologie des Neuen Testamentes. Die Kirchenväter haben diese Vergangenheitsform oft bevorzugt. Johannes Chrysostomos schrieb: „Was aber bedeutet Maranatha? Unser Herr ist gekommen…“ Die Auslegungen von Chrysostomos wurden in den letzten 1.500 Jahren gerade im Nahen Osten hoch geschätzt. Viele syrische, arabische und hebräische Übersetzungen wählen dieses Bekenntnis: Unser Herr ist gekommen!
Der Ausdruck hat also eine gewisse Zweideutigkeit, sie ist zugleich Bitte und Bekenntnis. Die Verknüpfung ist unheimlich wichtig, denn die Hoffnung für die Zukunft gründet in den Geschehnissen des ersten Kommens. Wenn Jesus nicht gekommen ist, am Kreuz starb und auferstanden ist, dann sind auch die Hoffnung auf ein weiteres Kommen nichtig. Dann brauchen wir nicht länger warten und unser Leben darauf ausrichten.
Wenn aber Christus nicht auferstanden ist, so ist unsere Verkündigung vergeblich, und vergeblich auch euer Glaube!
1 Korinther 15,14
Wenn wir nur in diesem Leben auf Christus hoffen, so sind wir die elendesten unter allen Menschen!
1 Korinther 15,19
Also ist Jesus gekommen und ist er auch auferstanden? Drei kurze Gedanken dazu…
Literarisches Zeugnis der Bibel
Der Handschriftenbefund der Bibel ist besser als bei jeder anderen antiken Schrift. Über die „Gallischen Kriege“ im 1. Jhd v. Chr. existiert nur der Bericht von Cäsar, den ich im Latein Unterricht übersetzen musste. Ohne diese Schrift hätten Historiker keine Aufzeichnungen zu den Geschehnissen. Die Originalschrift existiert nicht mehr. Es gibt nur zehn Kopien, die zwischen 900 und 950 geschrieben wurden. Trotzdem gelten die Dokumente im Wesentlichen als Darstellung historischer Fakten. Zum Neuen Testament gibt es mehr als 5.000 Handschriften. Davon wurden etwa 800 vor dem Jahr 1000 verfasst. Es ist unbegreiflich, dass die historische Zuverlässigkeit der Überlieferung in Frage gestellt wird. Es gibt keinen Beleg dazu, dass die frühe Kirche die biblische Beschreibung von Jesus verändert hat.
Außerbiblische Zeugnisse
Auch antike und säkulare Quellen erwähnen Jesus. Zum Beispiel nennt der römische Geschichtsschreiber Tacitus Jesus dreimal. Auch Suetonius, Schreiber bei Kaiser Hadrian im frühen 2. Jh., berichtet über Jesus. Anspielungen auf Jesus sind auch in den Schriften von antiken Autoren wie Thallus, Philo oder Plinius dem Jüngeren zu finden. Auch der Jüdische Historiker Josephus und der Jüdische Talmud erwähnen ihn.
Lebenszeugnis der Apostel
Nach der Auferstehung erschien Jesus über 500 Nachfolgern, er sprach und aß mit ihnen, sie berührten ihn sogar. Aus scheuen und verängstigten Menschen wurden in dieser Zeit starke und angstfreie Apostel. Es ist kaum vorstellbar, dass sie die Auferstehung Jesu nur vortäuschten. Denn ihr Zeugnis setzte sie nicht nur Gefahren aus, sondern brachte ihnen auch keine besseren Status. Hätten sie den Leichnam Jesu gestohlen und ihn versteckt, warum sollten sie dafür ihr Leben und Status riskieren?
Er ist gekommen und auferstanden, er lebt. Es ist ein begründeter Glaube. Direkt daraus folgt ein Lebensstil der auf Maranatha ausgerichtet ist. Maranatha beruht auf dem begründeten Glauben an das Leben, den Tod und die Auferstehung von Jesus von Nazareth.
Unser Herr ist gekommen: Schaue auf das Kreuz und bleibe in der Abendmahlsgemeinschaft der Kirche. Dort sollst du den Zuspruch des Evangeliums hören.
Unser Herr kommt: Jesus möchte, dass wir immer wieder mit Vorfreude zu den Wolken blicken und vorbereitet leben. Aus dem Zuspruch des Evangeliums folgt auch ein Anspruch. Lebe ich so wie Christus es uns gelehrt hat? Setze ich mich für das Reich Gottes auf dieser Erde ein?
Unser Herr komm: Er möchte, dass wir über seine Rückkehr sprechen und für seine Rückkehr beten. Augustinus fasst es schön zusammen.
Nicht derjenige liebt die Wiederkunft des Herrn, der sagt, sie liegt in weiter Ferne; auch nicht der, der sagt, sie steht unmittelbar bevor; sondern derjenige, der sie mit ernstem Glauben, fester Hoffnung und brennender Liebe erwartet, ganz gleich, ob sie fern oder nah ist.
Augustinus von Hippo