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Bibelauslegung

Knechte Jesu Christi

Die Frage richtet sich daher auch an uns: Gehören wir im Leib Christi zur Knecht-Fraktion, die am Wohl des anderen interessiert sind, oder geht es uns noch zu sehr um die eigene Bequemlichkeit und eigenen Vorteil nach dem Motto: „Hauptsache um mich kümmert sich jemand!“ Die Gemeinde Jesu ist kein Selbstbedienungsladen, sondern ein Selbstaufgabeladen, wo wir lernen, dass wir weniger im Zentrum des Universums stehen, als wir oftmals denken.

Wer bereits seit vielen Jahren Teil derselben Kirche ist und dabei möglicherweise häufig Predigten von denselben Personen gehört hat, der wird vermutlich immer wieder auf ähnliche Gedanken stoßen. Teilweise wirst du vielleicht sogar in der Lage sein, einige Sätze mitzusprechen. Wir alle haben unsere Lieblingsthemen, die uns immer wieder beschäftigen. So auch die Menschen, die Sonntag für Sonntag in ihrer Kirche predigen.

Hier zeigt sich ein wesentlicher Vorteil der Auslegungspredigt. Ihr Inhalt wird von einer bestimmten Textstelle der Bibel geprägt. So entgehen wir der Gefahr, immer wieder unsere Lieblingsthemen zu bearbeiten und dabei eine gewisse Einseitigkeit zu zeigen. Wir erlauben Gott, uns erstmals oder auf eine neue Art und Weise auf Themen hinzuweisen, die wir aus Eigenantrieb nicht unter der Lupe nehmen würden.

Als Beispiel soll in diesem Beitrag das Präskript des Philipperbriefes dienen. Der Philipperbrief gehört zu den sogenannten Gefangenschaftsbriefen, die Paulus im Gefängnis schrieb. Es handelt sich um den wohl persönlichsten Brief von Paulus. Die Philipper waren die einzige Gemeinde, die ihn finanziell unterstützte, er hatte eine besondere Beziehung zu ihnen, sodass einige auch von seiner Lieblingsgemeinde sprechen.

Die antiken Briefe beginnen in der Regel mit einem Präskript, dass sich in drei Teile gliedert. Zunächst geht es um den Absender (superscriptio), dann geht es um die Adressaten (adscriptio) und dann folgt ein Gruß (salutatio). So ist es auch bei diesem Brief von Paulus an die Philipper in den ersten beiden Versen.

Paulus und Timotheus, Knechte Jesu Christi, an alle Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi sind, samt den Aufsehern und Diakonen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Philipper 1,1-2

Superscriptio

Wir begegnen hier einem untypischen Briefeingang. Normalerweise nennt Paulus sich Apostel und nennt daran anschließend seine Mitarbeiter gesondert. Der Apostel-Titel, den er häufig verwendet, drückt die von Jesus kommende Autorität aus, die Paulus bekommen hat. Was will Paulus also damit sagen, dass er auf diese Bezeichnung hier verzichtet? Es mag an der bereits beschriebenen besonderen Beziehung zu den Philippern liegen, sodass er auf seine Autorität nicht hinweisen musste. Ein wesentlicher Grund liegt aber vermutlich auch darin, dass er auf diese Weise besonders stark den Begriff des Knechtes hervorhebt, der in ein Hauptthema des gesamten Briefes einführt. Die einzige weitere Stelle, an der Paulus diesen Begriff im Philipperbrief verwendet, finden wir im zweiten Kapitel.

Denn ihr sollt so gesinnt sein, wie es Christus Jesus auch war, der, als er in der Gestalt Gottes war, es nicht wie einen Raub festhielt, Gott gleich zu sein; sondern er entäußerte sich selbst, nahm die Gestalt eines Knechtes an und wurde wie die Menschen; …

Philipper 2,5-7

Diese Passage ist die vielleicht wichtigste Stelle in dem gesamten Brief. Paulus verwendet den Begriff hier im Hinblick auf Jesus, der Gott in allem gleich war und sich selbst entäußerte, Mensch wurde und für uns starb. Das große Anliegen von Paulus in diesem Brief ist es, diese Haltung eines Knechtes auch bei den Philippern zu erzeugen. Daher nennt sich Paulus direkt am Anfang des Briefes Knecht, weil er selbst ein Beispiel für diese Haltung von Jesus sein möchte. 

Anhand dieses Gedankens lässt sich auch eine Vermutung anstellen, warum er sich in diesem Präskript untypischerweise zusammen mit Timotheus nennt. Es kann nicht daran liegen, dass sich gleicherweise den Brief geschrieben haben. Denn Paulus schreibt aus seiner eigenen Perspektive und nennt Timotheus immer in dritter Person. Auch hier scheint es wieder um das genannte Thema der Knecht-Haltung zu gehen. Deutlich wird es an einer Stelle im Brief, an der Paulus seinen Gefährten Timotheus genauer beschreibt.

Ich hoffe aber in dem Herrn Jesus, Timotheus bald zu euch zu senden, damit auch ich ermutigt werde, wenn ich erfahre, wie es um euch steht. Denn ich habe sonst niemand von gleicher Gesinnung, der so redlich für eure Anliegen sorgen wird; denn sie suchen alle das Ihre, nicht das, was Christi Jesu ist! Wie er sich aber bewährt hat, das wisst ihr, dass er nämlich wie ein Kind dem Vater mit mir gedient hat am Evangelium. Diesen hoffe ich nun sofort zu senden, sobald ich absehen kann, wie es mit mir gehen wird. Ich bin aber voll Zuversicht im Herrn, dass auch ich selbst bald kommen werde.

Philipper 2,19-24

Timotheus ist der Mitarbeiter, der Paulus am stärksten darin ähnelt, sich selbstlos um die Anliegen anderer zu kümmern. Die anderen Mitarbeiter suchen immer wieder zuerst ihren eigenen Vorteil. Er erwähnt Timotheus hier so direkt, weil er die Haltung eines Knechtes vorlebt, die er bei den Philippern sehen möchte. Auf diese Weise setzt Paulus mit den ersten Worten den Ton für das gesamte Buch: Er schreibt mit dem Ziel, Menschen wie Timotheus zu entwickeln, die Knechte Jesu Christi sind, und nicht zuerst für sich selbst leben, sondern für Dienst an anderen Menschen. 

Paulus verdeutlicht auf diese Weise auch, dass eine gesunde Gemeinde einen möglichst hohen Knecht-Anteil braucht. Je höher der Knecht-Anteil, desto gesünder die Gemeinde und desto eher entspricht sie dem, was Jesus an seiner Gemeinde schätzt, nämlich geschlossene Reihen, in denen man miteinander steht und nicht den Fehler bei dem anderen sucht. Die Frage richtet sich daher auch an uns: Gehören wir im Leib Christi zur Knecht-Fraktion, die am Wohl des anderen interessiert sind, oder geht es uns noch zu sehr um die eigene Bequemlichkeit und eigenen Vorteil nach dem Motto: „Hauptsache um mich kümmert sich jemand!“ Die Gemeinde Jesu ist kein Selbstbedienungsladen, sondern ein Selbstaufgabeladen, wo wir lernen, dass wir weniger im Zentrum des Universums stehen, als wir oftmals denken.

Adscriptio

Paulus spricht als Adressaten die Heiligen in Philippi an. Er benutzt dieses Wort etwa 40x im Neuen Testament im Plural und beschreibt damit Christen. Gemeint sind alle Menschen, die durch den Glauben mit Christus verbunden sind. Sie sind heilig, weil sie nicht eine eigene herausragende Gerechtigkeit nachweisen können, sondern weil ihnen die Gerechtigkeit von Jesus durch den Glauben zugerechnet wird (vgl. Philipper 3,8-9). In Christus sind wir geheiligt, weil seine Heiligkeit unsere wird. Wir schlüpfen in diesem Sinne in Jesus hinein. Diese zugerechnete Heiligkeit ist die Voraussetzung für einen veränderten Lebensstil (vgl. 1 Petrus 1,16).

Die Rechtfertigung muss der Heiligung und dem Kampf gegen die Sünde vorausgehen. Wir bekämpfen ungewollte Muster in unserem Leben immer mit der freudigen Sicherheit, dass diese Dinge vergeben sind und wir im Stand der Heiligen sind. Das gilt für jeden Christen, nicht nur für Anfänger. Daher sind in diese Sicherheit notwendigerweise auch Aufseher und Diakone hineingenommen. Auf diesem Weg gibt es keine Menschen, die ihr Diplom im Bereich Heiligung abgeschlossen haben. Natürlich weiß auch Paulus, dass ein hoher Anspruch für Leiter im Reich Gottes gilt, aber auch sie müssen nicht etwas Übermenschliches leisten, sondern sind täglich abhängig von Gnade Gottes.

Ein weiterer Grund, warum Paulus diese Gruppe hier gesondert nennt, ist, dass er deutlich machen will, dass diese zwar einen besonderen Dienst gegenüber der Gemeinde haben, aber als Teil des Ganzen nicht Herren über die Gemeinde sind. Auch sie sollen wie alle Heiligen Knechte sein und diese Haltung vorleben. Jesus will unterschiedliche Dienste mit unterschiedlichen Voraussetzungen, aber sein primärer Wunsch ist Dienstkultur und nicht Hierarchiekultur. Die Leiter der Gemeinde sollen Verantwortung für die Umsetzung des Wunsches von Paulus übernehmen, dass mehr Menschen mit Knecht-Haltung entstehen. Denn eine dienende Haltung ist der einzige Weg zur Einheit in der Unterschiedlichkeit. Das gilt besonders bei Leitern, denn sie sind häufig meinungsstark und müssen an ihre Aufgabe erinnert werden, sich nicht zu wichtig zu nehmen, sondern dienend zu leiten und immer wieder die Frage zu stellen: Was dient der Sache insgesamt mehr? Was hält die Reihen geschlossen? Meine Meinung durchzusetzen oder mich zum Wohle der Einheit zurückzuhalten? Ungezügelte Emotionen und ungebremstes Temperament ist seit jeher eine Gefahr für Einheit und dienende Leiterschaft.

Salutatio

Im Gruß erkennen wir eine Kommunikation in zwei Richtungen. Das „mit euch“ gilt den Philippern und gleichzeitig können wir es als Gebet an Gott verstehen. Hier an dieser Stelle lesen wir etwas Reales, nicht nur einen netten Gruß. Das ist die Zeile, die Paulus damals im Gefängnis schrieb und er erwartet wirklich, dass Gott aufgrund dieser Zeile handelt. Wie oft schreibe ich ähnliche Dinge in meinen Mails und Nachrichten schnell runter, weil man das eben so macht. Ich denke Paulus hat tatsächlich erwartet, dass Güte und Versorgung eines liebenden Vaters und die Autorität und Macht Jesu Christi sein Gebet zu einem herausragenden Ergebnis führen. Auf ähnliche Weise können wir Grüßen eine neue Ernsthaftigkeit geben, indem sie nicht einfach nur ein Ritual sind, sondern echte Gebete mit einer Erwartung. 

Paulus will mit seinem Gruß ausdrücken, dass er durch die Dinge, die er schreiben wird, Gnade in Richtung der Philipper bringen will. Sein Brief soll ein Instrument sein, um Gnade und Frieden zu den Philippern zu bringen. Hier begegnet uns ein idealer Filter für unsere Kommunikation in einer aufgeheizten Zeit. Unser Ziel soll es sein, dass durch unser Reden und Schreiben auf der anderen Seite Gnade und Frieden Gottes ankommt. Gnade beschreibt unverdiente Geschenke Gottes. Hier knüpft Paulus auch noch einmal an das beschriebene Hauptthema an. 

Er gibt aber ⟨desto⟩ größere Gnade. Deshalb spricht er: »Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade.«

Jakobus 4,6

Denn wer demütig ist (Knecht-Haltung), der bekommt die Gnade Gottes im Überfluss. Außerdem will Paulus, dass der Frieden (Shalom), ein ganzheitliches Heil und Wohlsein, im Leben der Philipper sichtbar wird. Dieser Frieden soll jetzt schon Gestalt nehmen, aber vor allem ist er mit der messianischen Herrschaft verbunden (vgl. Sacharja 9,10) und damit unsere Lebensperspektive schon hier und auch für die Ewigkeit.