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Bibelauslegung

Berufung des Propheten Hesekiel

Was es Hesekiel erleichterte, diese Berufung anzunehmen, war, dass sie aus der überwältigenden Begegnung mit Gott kam (vgl. Hesekiel 1). Nur weil er von der Macht, der Majestät und der Herrlichkeit Gottes absolut überzeugt war, hatte er ausreichend Kraft und Mut, sich gegen die stechende Ablehnung der Menschen zu behaupten und treu beim Wort Gottes zu bleiben.

Hesekiel war der Sohn eines jüdischen Priesters und gehörte zur ersten Gruppe, die unter dem babylonischen König Nebukadnezar ins Babylonische Exil gebracht worden sind. Dort trat er ab seinem 30. Lebensjahr als Prophet auf, nachdem ihm Gott in Visionen begegnet war. Seine Botschaft ist vor allem Anklage gegenüber dem Volk Israel, welches Gott verlassen hatte. Ihnen kündigt er das Gericht Gottes an. Im 2. Kapitel des Buches Hesekiel lässt sich der Moment nachvollziehen, in dem Hesekiel seine Lebensaufgabe übertragen bekommen hat. 

Und er sprach zu mir: Menschensohn, stelle dich auf deine Füße, so will ich mit dir reden! Und als er zu mir redete, kam der Geist in mich und stellte mich auf meine Füße; und ich hörte dem zu, der mit mir redete. Und er sprach zu mir: Menschensohn, ich sende dich zu den Kindern Israels, zu den abtrünnigen Heiden[stämmen], die sich gegen mich empört haben; sie und ihre Väter sind von mir abgefallen bis zu diesem heutigen Tag. Und diese Kinder haben ein trotziges Angesicht und ein verstocktes Herz; zu ihnen sende ich dich, und ihnen sollst du sagen: »So spricht GOTT, der Herr!« Sie aber, ob sie nun darauf hören oder es bleiben lassen — denn sie sind ein widerspenstiges Haus —, sie sollen doch wissen, dass ein Prophet in ihrer Mitte gewesen ist. Du aber, Menschensohn, fürchte dich nicht vor ihnen, und fürchte dich auch nicht vor ihren Worten, wenn sie auch wie Disteln und Dornen gegen dich sind und du unter Skorpionen wohnst. Fürchte dich nicht vor ihren Worten und erschrick nicht vor ihrem Angesicht; denn sie sind ein widerspenstiges Haus. Und du sollst meine Worte zu ihnen reden, ob sie nun darauf hören oder es bleiben lassen; denn sie sind widerspenstig! Du aber, Menschensohn, höre auf das, was ich zu dir rede; sei nicht widerspenstig wie das widerspenstige Haus! Tu deinen Mund auf und iss, was ich dir gebe! Da schaute ich, und siehe, eine Hand war zu mir ausgestreckt, und siehe, sie hielt eine Buchrolle. Und er breitete sie vor mir aus; sie war aber auf der Vorderseite und auf der Rückseite beschrieben, und es waren Klagen, Seufzer und Weherufe darauf geschrieben.

Hesekiel 2,1-10

Zunächst lesen wir, dass Gott seinen Diener Hesekiel mit dem Titel Menschensohn anspricht. Dieser Titel unterstreicht in besonderer Weise die Geringfügigkeit und die bloße Menschlichkeit Hesekiels. Man könnte auch übersetzen, dass Hesekiel Teilhaber an der Natur des Menschen ist. Hier ist ein Unterschied erkennbar zur Verwendung des Begriffes Menschensohn im Hinblick auf Jesus in den Evangelien. Dort ist die Idee eher aus Daniel 7,13 entnommen und mit dem göttlichen Messias. Ganz anders ist es bei Hesekiel, wo wir erkennen können, dass Gott bewusst einen unvollkommenen Menschen beruft. Wir alle kennen diese Unvollkommenheit und sind immer wieder gezwungen sie auszuhalten, wenn wir in den Spiegel schauen und mit uns selbst konfrontiert sind. Möglicherweise sind es dieselben Sünden, die wir schon lange bekämpfen. Diese Unvollkommenheit meint nicht die Sünde ohne Reue. Diese Sünde sollte uns beunruhigen, denn Gott wird nicht in einem Menschen wohnen, in dem die Sünde noch herrscht. Aber er wohnt sehr wohl in Menschen, in denen die Sünde immer wieder aufbegehrt. Diese verbleibende Sünde ist vergeben, aber sie macht Mühe und ist zum Teil unerträglich hässlich. Wie kann es sein, dass dieser Egoismus, diese Ungeduld, diese Lust, diese Faulheit, dieser Neid mich immer noch in seinen Bann zieht? Die Antwort ist, weil Gott beschlossen hat, dass die Vergebenen vorläufig noch unvollkommen sind. Deswegen kommt er mit unserer Unvollkommenheit auch klar. Er weiß, dass wir Menschen aus Staub sind (vgl. Psalm 103,12-14). Gott weiß wie wir sind. Er kann an dir aushalten, was du selbst an dir kaum aushalten kannst. Gott kann es sogar so gut aushalten, dass er sich nicht scheut uns zu berufen mit unseren Unvollkommenheiten.

In Hesekiel 1,28 wird berichtet, dass der Prophet beim Anblick der Herrlichkeit Gottes auf sein Gesicht fiel. Nun fordert Gott ihn auf, sich auf seine Füße zu stellen, um die Botschaft Gottes zu hören und seine Berufung anzunehmen. Im nächsten Schritt wird Hesekiel vom Heiligen Geist erfüllt, als Gott mit ihm spricht. Interessant und erwähnenswert ist, dass der Heilige Geist durch das Wort Gottes an ihm wirkte. So ist es heute auch noch. Der Heilige Geist möchte durch das Wort Gottes an seinem Volk wirken, deswegen hat die Auseinandersetzung mit der Bibel eine herausragende Stellung in christlichen Versammlungen. Wir erwarten, dass wir beim Hören des Wortes Gottes durch den Heiligen Geist erfüllt werden. Dann stellt der Geist Gottes Hesekiel auf seine Füße. Gott bewirkt also das, was er befohlen hatte. Dieses Muster zeigt sich immer wieder im Leben des Christen (Philliper 2,13). Gottes Gnade ist es, die uns in die Lage versetzt an ihn zu glauben und seine Gnade ist es auch, die uns befähigt seinen Willen zu tun.  Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott uns die Kraft geben wird, Dinge zu tun, zu denen er uns berufen hat. Unsere tatsächliche göttliche Berufung wird nicht an Unfähigkeit scheitern können.

Wir erfahren dann den konkreten Auftrag, mit dem Hesekiel zu dem Volk Israel gesendet ist. Er soll zu ihnen sagen: „So spricht Gott, der Herr.“ Hesekiel wurde gesandt, um Gottes Worte zu sprechen, nicht seine eigenen. Relevant war nicht, was Hesekiel sagen mochte, es ging für ihn darum, Gottes Bote zu sein. Auch wir müssen uns immer wieder daran erinnern, dass das Wort Gottes auch für uns die Richtlinie für unsere Glaubensüberzeugungen ist. Wir können uns die Botschaft nicht einfach aussuchen. Auch deswegen ist es wichtig immer wieder zu betonen, dass wir die Bibel gut kennenlernen müssen, damit wir überhaupt in der Lage sind, mit Klarheit zu sagen: „So spricht Gott, der Herr…“. Dieser Ausspruch hat mehr mit Kenntnis der Schrift als mit spontanen Eingebungen zu tun. Die Kraft und Autorität Hesekiels ist geboren aus seiner Treue zum Wort Gottes, so soll es bei uns auch sein.

Gott beauftragt Hesekiel mit diesem Auftrag, „ob sie nun darauf hören oder es bleiben lassen“. Gott gab kein Versprechen, dass die Aufgabe von Hesekiel aus menschlicher Perspektive erfolgreich sein würde. Eigentlich klingt eher das Gegenteil durch. Gleichzeitig stellt Gott aber sicher, dass Hesekiel aufgrund der Reaktion seiner Zuhörer die Botschaft nicht verändert. Ähnlich wie der Postbote war er als Bote Gottes nicht verantwortlich, wie die Botschaft aufgenommen wurde. Er sollte die Ergebnisse seiner Ansprache Gott überlassen und sich davon nicht zu sehr beeinflussen lassen. Damit ist auch klar, dass der Erfolg von Hesekiel aus der Perspektive Gottes nicht durch Massen von reumütigen Bekehrten bewertet wird. Einen ähnlich deprimierenden Ruf erhielten auch Jesaja und Jeremia. Auch sie mussten sich auf Ablehnung einstellen. Gleicherweise dürften auch wir uns daran erinnern, dass wir kein Versprechen von Gott bekommen, dass wir immer Aufbruch erleben und viele Menschen uns als Christen ernst nehmen werden. Es wäre sicherlich schön, aber Gott hat sich nie davor gescheut, Menschen in eine Exilzeit zu rufen und ihnen den undankbaren Job eines Propheten zu geben, auf den kein Mensch so richtig hören will. 

Was es Hesekiel erleichterte, diese Berufung anzunehmen, war, dass sie aus der überwältigenden Begegnung mit Gott kam (vgl. Hesekiel 1). Nur weil er von der Macht, der Majestät und der Herrlichkeit Gottes absolut überzeugt war, hatte er ausreichend Kraft und Mut, sich gegen die stechende Ablehnung der Menschen zu behaupten und treu beim Wort Gottes zu bleiben. Das ist Ansporn für mich und dich, dass wir eigentlich viel mehr als bisher nach diesen Momenten suchen, in denen wir mit der Herrlichkeit Gottes konfrontiert werden.

Gott fordert Hesekiel dann in Vers 8 auf: Tu deinen Mund auf und iss, was ich dir gebe! Er soll anders als das Volk Israel nicht widerspenstig sein. Wenn das Volk Israel das Wort Gottes ablehnt, soll Hesekiel es vollständig annehmen. Ein ähnliches Bild kennen wir auch vom Propheten Jeremia, dem die Worte Gottes in den Mund gelegt wurden (Jeremia 1,9). Hesekiel bekommt hier eine Schriftrolle zum Verdauen. Das Wort Gottes soll Teil von ihm werden. Das Bild des Essens der Schriftrolle ist ein hilfreiches Bild im Hinblick darauf, wie wir Gottes Wort empfangen sollten. Verborgen sind Gedanken wie: Bewusstes Handeln, Wiederholtes Kauen, Vollständige Aufnahme, Prozess der Verdauung, Notwendigkeit der Energieaufnahme. Wir erfahren außerdem, dass die Buchrolle beidseitig beschrieben war. Normalerweise wurden Pergamente nur auf einer Seite beschrieben. Es lässt sich darin möglicherweise ein Hinweis erkennen, dass es sich um eine vollständige Botschaft handelt. Hesekiel darf sie nicht durch eigene Kommentare abändern. So vergewissern wir uns auch immer wieder, dass wir das Evangelium nicht verändern. Sowohl mit der Botschaft der Rettung als auch mit dem notwendigen Aspekt des sündigen und verlorenen Menschen. In dieser Hinsicht sind wir ganz in den Dienst des Hesekiel hineingerufen und dürfen seinen Auftrag zu unserem Auftrag machen.