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Bibelauslegung Nachfolge

Du brauchst (k)ein Wunder

Manna war Wüstennahrung. Die Israeliten, die am Morgen nach dem Sabbat das Manna suchten, hatten vergessen: Die Wüstenzeit ist vorbei. Die wundersame Versorgung hatte sie an einen Ort geführt, an dem sie sich selbst ernähren sollten. Es war ein Wunder in unspektakulärer Form. Gott wollte nicht, dass Israel faul wird, sondern in eine neue Partnerschaft und Verantwortung hineinkommt.

Vor einige Zeit war ich für zwei Tage auf einem Netzwerktreffen in Bühl. Die Gastgeber hatten als Unterkunft unter anderem das Kloster Maria Hilf bei den Schwestern vom Göttlichen Erlöser empfohlen. Da ich erst spät anreisen konnte, war die Rezeption bereits nicht mehr besetzt. Vorab hatte ich daher eine Anleitung für den Check-In erhalten. Mit einem Code kam ich zur Rezeption und konnte dann dort in einer Box meinen Schlüssel finden. Dazu gab es eine Anleitung, wie ich zu meinem Zimmer kam. Ich folgte der Anleitung in einen Torbogen, in dem ich dann rechts in das Marienhaus kommen sollte. Aber der Schlüssel passte nicht. Im Dunkel durchsuchte ich die Gegend und schlich mehrfach zu später Stunde wie ein Verbrecher um das Haus. Es gab keine Lösung und Hilfe war nicht zu erwarten. Ich brauchte ein Wunder dachte ich. Am besten eine göttliche Gesandte, „Maria, hilf“. Irgendwann kam ich auf den Gedanken, dass der Fehler vielleicht nicht bei mir liegt. Ich ging zurück zum Torbogen und versuchte es auf der anderen Seite und kam zum Priesterhaus. Tatsächlich passte der Schlüssel diesmal und ich kam letztlich in mein Zimmer.

Manchmal wollen wir ein Wunder, aber es würde schon reichen, die Ressourcen einzusetzen, die wir zur Verfügung haben. Ich hatte den Schlüssel, ich hatte meinen Verstand und ich hatte viele Häuser auf dem Areal. Ich musste mir nur die Mühe machen und die verschiedenen Türen ausprobieren. 

Einen ähnlichen Moment kann man am Ende des Exodus erkennen. Am Anfang wurde das Schilfmeer geteilt und Israel zog durch das Meer. Dann gab es eine Wüstenzeit von etwa 40 Jahren. Plötzlich stehen die Israeliten wieder vor einem Gewässer. Es ist der Jordan, der sie von dem Versprechen trennt, das Gott ihnen gegeben hatte. Ein Déjà-vu markiert den Abschluss ihrer Reise. Der Tag kommt dann, an dem sie sich auf den Weg machen 

Als nun das Volk auszog aus seinen Zelten, um über den Jordan zu gehen, und die Priester die Bundeslade vor dem Volk hertrugen, und als die, welche die Lade trugen, an den Jordan kamen, und die Priester, welche die Lade trugen, ihre Füße am Flussrand in das Wasser tauchten (der Jordan aber war überall über die Ufer getreten während der ganzen Zeit der Ernte), da stand das Wasser, das von oben herabkam, aufgerichtet wie ein Damm, weit entfernt bei der Stadt Adam, die neben Zartan liegt; aber das Wasser, das zum Meer der Arava hinabfloss, zum Salzmeer, nahm ab und verlief sich völlig. So ging das Volk hinüber vor Jericho. Und die Priester, welche die Bundeslade des HERRN trugen, standen fest auf dem Trockenen, mitten im Jordan; und ganz Israel ging auf dem Trockenen hinüber, bis das ganze Volk den Jordan völlig überschritten hatte. 

Josua 3,14-17

Auf der anderen Seite lagern sie in Gilgal im Jordangraben. Es ist das erste Basislager der Israeliten. Ausgebreitet liegt das Land vor ihnen. Dieser Moment markiert in gewisser Weise den letzten Blick zurück. Etwa 400 Jahre Sklaverei in Ägypten und 40 Jahre in der Wüste. Es muss ein ergreifender Moment gewesen sein. Gott hat die Schande abgewälzt. Dafür steht der Name Gilgal. 

Und der HERR sprach zu Josua: Heute habe ich die Schande Ägyptens von euch abgewälzt! Darum wird jener Ort Gilgal genannt bis zu diesem Tag.

Josua 5,9

Es ist ein neuer Tag, der Horizont zeigt einen neuen Weg. Dann kommen interessante Worte.

Während nun die Kinder Israels sich in Gilgal lagerten, hielten sie das Passah am vierzehnten Tag des Monats, am Abend, in den Ebenen von Jericho. Und am Tag nach dem Passah aßen sie von dem Getreide des Landes, nämlich ungesäuertes Brot und geröstetes Korn, an ebendiesem Tag. Und das Manna hörte auf am folgenden Tag, als sie von dem Getreide des Landes aßen; und es gab für die Kinder Israels kein Manna mehr, sondern in jenem Jahr aßen sie vom Ertrag des Landes Kanaan. 

Josua 5,10-12

Der Bericht bezeugt das erste Passah im Land der Verheißung. Das erste Passah hatten sie beim Auszug mit Hoffnung gefeiert. Dieses Passah wird gefeiert mit einem ersten Blick auf die wahrgewordenen Versprechen Gottes. Es wird eine besondere Atmosphäre gewesen sein. Es war die Zeit der Ernte, ein warmer Abend mit einem wunderbaren Sonnenuntergang. Einer der Abende, von denen man nicht möchte, dass sie enden. Sie konnten in diesen Stunden schmecken, riechen, fühlen, dass das Alte vergangen war und etwas Neues entsteht. Irgedwann machten Sie die Augen zu uns schliefen ein. 

Am nächsten morgen das Erwachen. Wo ist das Manna? Die übernatürliche Nahrung, die Gott den Israeliten während der Wüstenwanderung gab. Um das große Volk in dieser Umgebung zu ernähren, schenkte Gott Brot, das nachts auf den Wüstenboden fiel und am nächsten Tag aufgesammelt wurde. Es war immer für einen Tag gedacht. Der Text beschreibt das Ende dieser wundersamen Versorgung. Es gab kein Manna mehr. Ich stelle mir vor, wie viele aufstanden, um nach ihrer Gewohnheit das Manna zu sammeln, aber sie fanden die übernatürliche Himmelsversorgung nicht. 

Warum? Das Warum ist das Land Kanaan. Es war ein neuer Grund und Boden. Es war Kanaan und nicht mehr die Wüste. Der hebräische Ausdruck betont ein neues Zuhause und die Veränderungen, die damit einhergehen. Sie waren aufgewacht in einer neuen Realität. Von diesem Tag an sollten sich die Israeliten vom Ertrag des Landes ernähren. Die Manna-Versorgung wurde zur Acker-Versorgung. Es war der Übergang von der Abhängigkeit vom Manna hin zu einer neuen Lebensweise, die auf der Nutzung der Ressourcen des Landes basierte.

Damit zeigt der Text eine wichtige Wahrheit über Wunder, die man durch zwei nicht ganz ausdifferenzierte Gruppen beschreiben kann. Die erste Gruppe braucht ein Wunder. Das Manna war Wüstennahrung. Wie sollte sich ein Volk wandernd in der Wüste versorgen? Vielleicht fehlt mir die Kreativität, aber hier war eine Not, die nur durch wundersames Eingreifen beseitigt werden konnte. Es war ein notwendiger Manna-Moment. Der Gott der Bibel kommt durch sein übernatürliches Wirken nicht zu spät. 

… und rufe mich an am Tag der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich ehren!

Psalm 50,15

Der HERR ist für mich, ich fürchte mich nicht; was kann ein Mensch mir antun? Der HERR ist für mich, er kommt mir zu Hilfe, und ich werde meine Lust sehen an denen, die mich hassen.

Psalm 118,6-7

Er ist der Gott der Notleidenden, Schwachen, Armen, Verzweifelten, Trauernden. Ist dein Tag der Not? Dann brauchst du ein Wunder, einen Manna-Moment des göttlichen Wunderwirkens. Diese Momente, in denen ein übernatürlicher Schalter umgelegt wird. Es ist das Manna vom Himmel für die Wüstenzeit deines Lebens. 

Die zweite Gruppe braucht kein Wunder. Manna war Wüstennahrung. Die Israeliten, die am Morgen nach dem Sabbat das Manna suchten, hatten vergessen: Die Wüstenzeit ist vorbei. Die wundersame Versorgung hatte sie an einen Ort geführt, an dem sie sich selbst ernähren sollten. Es war ein Wunder in unspektakulärer Form. Gott wollte nicht, dass Israel faul wird, sondern in eine neue Partnerschaft und Verantwortung hineinkommt. Wenn das Manna nicht aufhört, tritt Israel nicht in die Verheißung und bewirtschaftet das Land. Das außergewöhnliches Wunder musste aufhören, damit das Wunder des Landes zur Geltung kommen konnte. Es war nicht wundersam, aber ein neues Level der Versorgung und Zuneigung Gottes.

Es lässt sich verstehen als die Aufforderung an uns: Leben wir nicht von Wunder zu Wunder. Das Wunder Gottes hat dich auf einen Acker geführt, von dem du dich ernähren sollst. Das Glaubensleben braucht nicht ständig spektakuläre Wunder, um gesund zu sein. Jesus hatte Wasser zu Wein verwandelt, Tausende ernährt, Kranke geheilt. Aber vor Pilatus wählen wir Menschen dennoch Barabbas. Wunder scheinen einen nicht bei Jesus zu halten. Sie sind kein Selbstzweck. Nikodemus hatte das verstanden. Wunder bestätigten Jesus als einen Lehrer (Joh 3,2). Sie sollten anregen zum Hinsetzen, Zuhören und Notizen machen. Sie waren nicht als täglich Brot gedacht. Seien wir froh, wenn wir nicht laufend Manna Momente brauchen und die Wüstenzeit vorbei ist. Man könnte es als Irrtum bezeichnen, dass Wunder in der Bibel an der Tagesordnung standen. Sie traten in bestimmten Zeiten gehäuft auf: Bei Elia, Elisa oder im Exodus-Geschehen. Wir sehen auch eine starke Konzentration der Wunder bei Jesus und den Aposteln. Dann wird es scheinbar aber weniger. Ja, wir glauben auch heute an Wunder. Aber in der Bibel kann ich nicht den Anspruch erkennen, dass spektakuläre Wunder unser tägliches Brot sein sollen. Die meisten Heiligen im Alten Testament lebten im Glauben an die Verheißungen für die Zukunft, verwurzelt in den Wundern der Vergangenheit. Wir leben im Glauben an die Verheißungen für ein Reich, das kommt, indem wir auf das Werk Jesu zurückblicken. 

Als die Volksmenge von Jesus ein Wunder forderte, reagiert er beeindruckend.

»Wenn wir an dich glauben sollen«, wandten sie ein, »musst du uns schon beweisen, dass du im Auftrag Gottes handelst! Kannst du nicht ein Wunder tun? Vielleicht so eines wie damals, als unsere Vorfahren in der Wüste jeden Tag Manna aßen? Es heißt doch in der Heiligen Schrift: ›Er gab ihnen Brot vom Himmel.‹ « Jesus entgegnete: »Ich versichere euch: Nicht Mose gab euch das Brot vom Himmel! Das wahre Brot vom Himmel gibt euch jetzt mein Vater. Und nur dieses Brot, das vom Himmel herabkommt, schenkt den Menschen das Leben.« »Herr, gib uns jeden Tag dieses Brot!«, baten sie ihn. »Ich bin das Brot des Lebens«, sagte Jesus zu ihnen. »Wer zu mir kommt, wird niemals wieder hungrig sein, und wer an mich glaubt, wird nie wieder Durst haben.

Johannes 6,30-35

Das wahre Brot ist nicht das Manna, sondern Jesus. Wer Jesus aufnimmt, wird nicht wieder hungrig sein. Durch Christus sind wir frei gemacht worden und brauchen nicht immer wieder ein neues Freiheitswunder (Gal 5,1). Wir sollen in der Freiheit leben, die Christus uns ermöglich hat. Wenn der Manna-Moment vorbei ist und Gott uns in ein neues Land gestellt hat, dann sollen wir auch dementsprechend leben. Bearbeiten wir den Acker und setzen um, was er uns gelehrt hat.