Der Römerbrief von Paulus ist eine herausfordernde, aber lohnende Lektüre. Es handelt sich um die wohl umfassendste Zusammenfassung der Theologie des christlichen Glaubens innerhalb des biblischen Kanons. Der Kirchenlehrer Johannes Chrysostomos, der bereits in einigen Beiträgen auf TheoType vorgestellt wurde, ließ sich den Römerbrief einmal wöchentlich vorlesen. Der große Reformator Johannes Calvin war der Überzeugung, dass dieser Brief die Tür zu allen Schätzen der Heiligen Schrift öffnet. Der Theologe Frédéric Godet spricht im Zusammenhang mit dem Römerbrief gar von der Kathedrale des christlichen Glaubens.
Der Römerbrief ist eine Vorstellung des Evangeliums wie es Paulus überliefert bekommen hat. Das Evangelium ist von seiner Wortbedeutung und von seiner Charakteristik zunächst einmal eine gute Botschaft an den Menschen. Sie ist aber nur eine gute Botschaft für diejenigen, die begriffen haben, dass sie hinsichtlich einer Problematik oder Thematik eine solche Botschaft brauchen. Der in Werbebotschaften verheißungsvoll angepriesene Service von Carglass ist keine gute Botschaft für einen Menschen ohne Auto. Denn eine Person ohne Auto hat sehr wahrscheinlich kein Problem, welches durch den Service von Carglass behoben werden kann. Gleicherweise sind steigende Aktienkurse keine bemerkenswert gute Botschaft für Menschen, die ihr Geld überhaupt nicht in Aktien investiert haben. Die Thematik betrifft diese Personen so wenig, dass eine Botschaft hinsichtlich der steigenden Kurse eher uninteressant ist.
Damit begegnen wir einem der vielleicht größten Herausforderungen in der Verkündigung des Evangeliums in Deutschland. Wenn das von uns proklamierte Angebot gegenüber den Menschen die Vergebung der Sünden ist, dann ist dieses Angebot völlig uninteressant, wenn ich keine Probleme mit Sünde sehe und keine Lösung für nötig halte. Die Gruppe derjenigen, die hier kein wirkliches Problem sehen, scheint nicht gerade klein zu sein. Darin begegnet uns großes Frustpotential, denn wir machen immer wieder die Erfahrung, dass die die Menschen nicht feindselig oder diskussionsfreudig auf das Evangelium reagieren, sondern eher desinteressiert und gleichgültig.
Diesem Gedankengang folgend ergibt der Einstieg in den Römerbrief in den ersten beiden Kapiteln Sinn. Paulus bemüht sich zunächst darum, deutlich zu machen, dass jeder Mensch hilflos verloren ist. Er ist sich darüber im Klaren, dass er keine Lösung verdeutlichen braucht, bevor er das Problem erläutert. Das gilt auch für die Verkündigung heute. Wir brauchen Menschen nicht das Evangelium predigen, wenn wir nicht zuerst verdeutlichen, warum die Botschaft relevant ist.
Gott ist zwar unsichtbar, doch an seinen Werken, der Schöpfung, haben die Menschen seit jeher seine ewige Macht und göttliche Majestät sehen und erfahren können. Sie haben also keine Entschuldigung. Denn obwohl sie schon immer von Gott wussten, verweigerten sie ihm die Ehre und den Dank, die ihm gebühren. Stattdessen kreisten ihre Gedanken um Belangloses, und da sie so unverständig blieben, wurde es schließlich in ihren Herzen finster. Sie hielten sich für besonders klug und waren die größten Narren. Statt den ewigen Gott in seiner Herrlichkeit anzubeten, verehrten sie Götzenstatuen von sterblichen Menschen, von Vögeln und von vierfüßigen und kriechenden Tieren. Deshalb hat Gott sie all ihren Trieben und schmutzigen Leidenschaften überlassen, so dass sie sogar ihre eigenen Körper entwürdigten.
Römer 1,20-24
Paulus argumentiert in Römer 1,20-24, dass jeder Mensch in der Lage ist, Gott zu erkennen, auch wenn er beispielsweise noch nie einen Blick in die Bibel geworfen hat. Er wendet das Argument der theologia naturalis an, nach dem Gott in der Natur und in jedem einzelnen Menschen zu erkennen ist. Gott hat sich sichtbar gemacht, indem er die Welt geschaffen hat. Wenn es in Vers 20 heißt, dass Gott durch das Geschaffene erkannt wird, dann wird das Geschaffene durch das griechische Wort poiēma beschrieben. Das Universum und alles, was darin ist, ist Gottes Kunstwerk. In einem Gedicht ist ein offensichtlicher Plan enthalten. Der Wind könnte einen Buchstaben in den Sand malen, aber er kann kein planvolles Gedicht schreiben. Das Universum ist aber ein Gedicht über Gott, der einen Plan hat. Diesen Gott nicht anzuerkennen, verfrachtet jeden Menschen in eine Stellung der Schuld vor diesem Gott.
Aber auch ihr anderen – wer immer ihr seid – könnt euch nicht herausreden. Ihr spielt euch als Richter über alle auf, die Unrecht begehen, und sprecht euch damit euer eigenes Urteil. Denn ihr klagt bei anderen an, was ihr selbst tut. Wir wissen, dass Gott über alle, die so handeln, ein gerechtes Urteil fällen wird. Meint ihr etwa, ihr könntet dem Gericht Gottes entgehen, wo ihr doch genauso wie die handelt, die ihr verurteilt?
Römer 2,1-3
In Römer 2,1-3 geht Paulus in seiner Argumentation auch auf die Menschen ein, die vielleicht von ihrem eigenen moralischen Kompass überzeugt sind. Wir alle klagen mit Worten oder Gedanken andere Menschen an. Tatsächlich kann man häufig beobachten, dass uns an anderen Menschen die Dinge in besonderer Weise stören, worin wir selbst versagen. Paulus führt aus, dass derjenige, der über andere richtet, damit immer auch bestätigt, dass er ein Gefühl für Richtig und Falsch hat. Ansonsten würde er nicht die Handlung eines anderen Menschen nach gewissen Maßstäben beurteilen. Wir wissen also, dass es Richtig und Falsch gibt und sprechen uns damit selbst ein Urteil, da wir wissen, dass wir diesem Gefühl für Richtig und Falsch nicht immer entsprechend handeln. Auch der hochmoralische Mensch hat hier keine Ausrede. Mit unseren guten Taten können wir Gott nicht beeindrucken. Indem wir andere hochnäsig verurteilen, verurteilen wir uns gleich mit. Vielleicht sündigen wir etwas anders, aber das spricht uns nicht frei.
Wer die ersten Kapitel im Römerbrief liest, der spürt, wie man ertrinkt. Der Mensch braucht dieses Gefühl, um Jesus als Lösung zu begreifen und das Evangelium als gute Botschaft zu erkennen. Nachdem Paulus die Problematik verdeutlich hat, kommt er zu der großen Lösung.
Jetzt aber hat Gott uns gezeigt, wie wir vor ihm bestehen können, nämlich unabhängig vom Gesetz. Das ist schon im Gesetz und bei den Propheten bezeugt. Gott spricht jeden von seiner Schuld frei und nimmt jeden an, der an Jesus Christus glaubt. Nur diese Gerechtigkeit lässt Gott gelten. Denn darin sind die Menschen gleich: Alle sind schuldig geworden und spiegeln nicht mehr die Herrlichkeit wider, die Gott dem Menschen ursprünglich verliehen hatte. Aber was sich keiner verdienen kann, schenkt Gott in seiner Güte: Er nimmt uns an, weil Jesus Christus uns erlöst hat. Um unsere Schuld zu sühnen, hat Gott seinen Sohn am Kreuz vor aller Welt sterben lassen. Jesus hat sein Blut für uns vergossen und mit diesem Opfer die Vergebung für alle erwirkt, die daran glauben. Daran zeigt sich, dass es gerecht von Gott war, als er die Sünden der Menschen bisher ertrug; er hatte Geduld mit ihnen. Jetzt aber vergibt er ihnen ihre Schuld und erweist damit seine Gerechtigkeit. Gott allein ist gerecht und spricht den von seiner Schuld frei, der an Jesus Christus glaubt.
Römer 3,21-26
Der Glaube an den Gekreuzigten befreit von aller Schuld und vermag den Sünder in den Stand des Gerechten vor Gott zu verfrachten.