Kategorien
Bibelauslegung

Ist das Bibel oder kann das weg?

Obwohl die Chronik ein historisches Buch ist und von der Vergangenheit erzählt, enthält sie gleichzeitig ein Programm für die Zukunft. Wenn das Volk nach dem Exil wieder neu gedeihen sollte, dann mussten sie aus der Chronik lernen. Und zu den wichtigsten Lektionen gehörte: Organisieren und anbetend singen.

Wir alle kennen vermutlich das Dilemma, wenn wir ein Geschenk bekommen, mit dem wir nichts anfangen können. Irgendwie muss man sich freuen und gleichzeitig überlegt man, wie man diesen Gegenstand schnell wieder loswerden kann. Wenn man die Gegenstände aus Höflichkeit nicht wegwerfen möchte, bewahrt man sie in der Regel an einem Ort auf, an dem die Dinge in Vergessenheit geraten können. Man würde einen Diebstahl gar nicht merken. 

Gibt es Passagen in der Bibel, mit denen es uns manchmal ähnlich geht? Angenommen die Bücher 1. und 2. Chronik würden im Alten Testament fehlen. Wann würdest du es merken? Wenn ich also heimlich die entsprechenden Seiten heute aus deiner Bibel entfernen würde, wann würde es dir auffallen? Die Chroniken erzählen nicht viel, was wir nicht anderswo finden können. Die Bücher 1. und 2. Samuel erzählen uns viel mehr über David als die 1. Chronik. Zum Beispiel den Skandal um Batseba und Uria. Die Bücher 1. und 2. Könige behandeln wie die Chroniken die Geschichte von Salomo bis zum Exil, berichten aber viel mehr über das Nordreich Israel, einschließlich der Karrieren von Elia und Elisa. In der 2. Chronik wird Elia nur einmal erwähnt, als er einen kritischen Brief an König Joram schickt. Die Chroniken enden dann mit dem Dekret des Kyrus und dem Ende der babylonischen Gefangenschaft, aber das steht auch im Buch Esra. Wenn wir die Chroniken nicht hätten, würden uns neun Kapitel Genealogie fehlen, also Geschlechtsregister. Dann noch ein paar Einzelheiten über Davids Vorbereitungen für den Tempelbau und einige Episoden aus dem Leben der Könige von Juda. Warum brauchen wir dann die Chroniken? Zwei Gründe stechen heraus.

Organisation

Wenige Bücher betonen organisatorischen Dimensionen Israels so sehr wie die Chronik. Zum Beispiel wird der Tempelbau als ein gemeinsames Projekt von David und Salomo beschrieben. David stellt die Materialien zusammen, organisiert Handwerker und Priester, erhält die Baupläne und übergibt dann an Salomo, um das Werk zu vollenden. Wir erkennen eine herausragende Organisation.  

Und David gebot, die Fremdlinge, die im Land Israel waren, zu versammeln; und er stellte sie an als Steinhauer, um Quadersteine zu hauen für den Bau des Hauses Gottes. Und David schaffte viel Eisen an für die Nägel an den Torflügeln und für die Klammern, und so viel Erz, dass es nicht zu wägen war, auch Zedernholz ohne Zahl. Denn die von Zidon und Tyrus brachten David viel Zedernholz. Und David sprach: Mein Sohn Salomo ist jung und zart; das Haus aber, das dem HERRN gebaut werden soll, das soll sehr groß sein, damit sein Name und Ruhm in allen Ländern erhoben werde; darum will ich einen Vorrat für ihn anlegen! So legte David vor seinem Tod Vorräte in Menge an. Und er rief seinen Sohn Salomo und gebot ihm, das Haus des HERRN, des Gottes Israels, zu bauen.

1 Chronik 22,2-6

Die 1. Chronik widmet mehrere Kapitel den levitischen Dienstleuten. David organisiert die Leviten (1 Chr 23), teilt Priester in Gruppen ein, die abwechselnd im Tempel dienen (1 Chr 24), er schafft einen levitischen Chor und ein levitisches Orchester (1 Chr 25), beauftragt Aufseher mit der Bewachung des Tempelschatzes (1 Chr 26) und der Instandhaltung eigener Ländereien (1 Chr 27). Es ist ein ausführlicher Bericht über das Sammeln, die Aufbewahrung und die Buchführung. Eine manchmal quälende Ausführlichkeit.

Was können wir daraus lernen? Jeder Aufschwung in der Geschichte Israels geht einher mit einer Erneuerung der priesterlichen Organisation. An dieser Stelle auch mit der Erhöhung der Tempelabgabe und einer sorgfältigen Überwachung der Tempel- und Palastschätze. Der Schreiber der Chronik verlangsamt beispielsweise das Erzähltempo, um zu erklären, wie König Joasch die Spenden aus dem Kasten am Tempeltor an die Handwerker überweist, die den baufälligen Tempel reparieren.

Da befahl der König, dass man eine Lade machen und sie außerhalb des Tores am Haus des HERRN aufstellen sollte. Und man ließ in Juda und Jerusalem ausrufen, dass man dem HERRN die Abgabe bringen solle, die Mose, der Knecht Gottes, Israel in der Wüste auferlegt hatte. Da freuten sich alle Obersten und das ganze Volk und brachten sie und warfen sie in die Lade, bis sie es alle getan hatten. Und wenn es Zeit war, die Lade durch die Leviten zu der königlichen Behörde zu bringen, und wenn man sah, dass viel Geld darin war, so kamen der Schreiber des Königs und der Beauftragte des Oberpriesters und leerten die Lade und trugen sie wieder an ihren Ort. So machten sie es von Zeit zu Zeit, sodass sie viel Geld zusammenbrachten. Und der König und Jojada gaben es denen, die das Werk des Dienstes am Haus des HERRN betrieben; die stellten Steinmetze und Zimmerleute ein, um das Haus des HERRN zu erneuern, auch Handwerker für die Eisen- und Erzbearbeitung, um das Haus des HERRN auszubessern. Und die Handwerker arbeiteten, sodass die Verbesserung des Werkes unter ihrer Hand fortschritt, und sie setzten das Haus Gottes wieder in seinen rechten Stand und machten es fest. Und als sie es vollendet hatten, brachten sie das übrige Geld vor den König und vor Jojada; davon machte man Geräte für das Haus des HERRN, Geräte für den Dienst und für die Brandopfer, Schalen und goldene und silberne Geräte. Und sie opferten beständig Brandopfer im Haus des HERRN, solange Jojada lebte.

2 Chronik 24,8-14

Der Grund für diese Strukturen scheint nach einigem Nachdenken offensichtlich. Bisher hatten korrupte Priester und Aufseher Spenden abgeschöpft, um ihre eigenen Taschen zu füllen. Aber der Tempel konnte nur gebaut werden, wenn diejenigen, die das Geld verwalteten, ehrlich sind und es gute Strukturen gab. 

Insgesamt zeigt die Chronik Israel nicht als lose, unstrukturierte, bürokratiefreie Gemeinschaft, sondern als Nation mit qualifizierten Beamten, die in einer stabilen institutionellen Struktur bestimmten Aufgaben nachgingen. Hier können wir etwas für die Kirche und unser persönliches Leben lernen. 

Kirchliche Bürokratie kann so verstopft sein wie einige deutsche Behörden. Das bremst aus. Aber mangelnde Organisation oder das Fehlen einer Ordnung ist genauso zerstörerisch. Die Chronik beschreibt eine Zeit kluger Ordnung und der effizienten und effektiven Strukturen. Effektiv, weil man die richtigen Dinge tat. Effizient: Weil man die Dinge richtig tat. 

Erlebst du eine persönliche Durststrecke? Neubeginn und Aufbruch beginnen oft mit einer neuen Organisation und guten Strukturen. Was gibt deinem Leben Struktur? Welche Gewohnheiten, Prinzipien und Routinen geben deinen Lebensrhythmus vor? Wenn uns diese Dinge fehlen, dann entscheiden schnell die Umstände unseren Rhythmus.

Anbetung / Gebet

Der zweite tragende Gedanke in der Chronik ist die Anbetung und das Gebet. Nahezu jedes wichtige Ereignis in Davids Leben findet statt, wenn er einer großen Versammlung vorsteht. Seine Krönung, der Aufstieg der Bundeslade nach Jerusalem, die Vorbereitungen für den Bau des Tempels. Auch Salomo versammelt Israel zur Einweihung des Tempels. Aber was tut Israel in den Versammlungen? Neben den Tieropfern sehen wir etwas Neues: Das Lobopfer als Form der Anbetung.

Die Chronik ist eines der wichtigsten Bücher der Bibel über Anbetung, insbesondere durch Musik. In den Psalmen finden wir die Worte für die Anbetung und Bitten, zum Teil gibt es auch Hinweise zu Instrumenten und Melodien. Die Chronik liefert uns eher einen Überblick zu anderen Fragen: Wer betet an? Wann betet man an? Warum betet man an?

Die Anbetung wird hier als eine priesterliche Tätigkeit beschrieben. Priester sind die Hauptmusiker und die Anbetung steigt zu Gott auf wie der Rauch eines Opfers. Während der Zeit von Mose trugen die Priester die Ausstattung der Stiftshütte von Ort zu Ort. Als in der Chronik die Bundeslade nach Jerusalem transportiert wird, spielt Anbetung eine große Rolle und wird eine neue Form des priesterlichen Tragens (1 Chr 15,27-28). 

Auch die Könige machen in der Chronik Musik. König David schreibt Musik, erfindet Instrumente und gründet einen Chor. Später, nach dem Vorbild von Josuas musikalischer Eroberung Jerichos, wehrt sich König Josaphat gegen eine Invasion, indem er Sänger an die Front schickt. 

Und es geschah danach, da kamen die Moabiter und die Ammoniter und mit ihnen andere neben den Ammonitern, um Josaphat zu bekämpfen. Und man kam und meldete es Josaphat und sprach: Eine große Menge rückt gegen dich heran von jenseits des [Toten] Meeres, aus Aram; und siehe, sie sind bei Hazezon- Tamar, das ist En-Gedi! Da fürchtete sich Josaphat und richtete sein Angesicht darauf, den HERRN zu suchen; und er ließ in ganz Juda ein Fasten ausrufen. Und Juda kam zusammen, um von dem HERRN Hilfe zu erbitten; auch aus allen Städten Judas kamen sie, um den HERRN zu suchen.

2 Chronik 20,1-4

Und sie machten sich am Morgen früh auf und zogen zur Wüste Tekoa. Und als sie auszogen, trat Josaphat hin und sprach: Hört mir zu, Juda und ihr Einwohner von Jerusalem: Vertraut auf den HERRN, euren Gott, so könnt ihr getrost sein, und glaubt seinen Propheten, so werdet ihr Gelingen haben! Und er beriet sich mit dem Volk und stellte die, welche in heiligem Schmuck dem HERRN singen und ihn preisen sollten, im Zug vor die gerüsteten Krieger hin, um zu singen: Dankt dem HERRN, denn seine Gnade währt ewiglich! Und als sie anfingen mit Jauchzen und Loben, ließ der HERR einen Hinterhalt kommen über die Ammoniter, Moabiter und die vom Bergland Seir, die gegen Juda gekommen waren, und sie wurden geschlagen.

2 Chronik 20,20-22

Soldaten marschieren im Rhythmus. Die Hymne der Champions League erfüllt die Fußballer mit dem Geist des Spiels. Märtyrer gingen in die Arena und sangen Psalmen. Musik spielt eine tragende Rolle. Es ist daher nicht verwunderlich, dass David sich mit Heerführern bespricht, als er Musiker eingesetzt hat (1 Chr 25,1). Die Tempelmusik, Anbetung und das Gebet scheinen absolut entscheidend für Israels nationale Verteidigung gewesen zu sein.

Das Handeln des Volkes Israel als erwähltes Volk war immer gegründet in ihrer Beziehung zu Gott. Nur aus einer kraftvollen Beziehung zu Gott erwächst die Fähigkeit, die Berufung Gottes zu leben. Die Phasen der Bedeutungslosigkeit Israels im Alten Testament gingen oft einher mit der Teilnahmslosigkeit gegenüber Gott. Auch das gilt für unser persönliches Leben und das kirchliche Leben.

Die in der Chronik beschriebenen Ereignisse beginnen etwa zur Zeit der Könige David und Salomo, also 1000 v. Chr. Geschrieben wurde das Werk aber erst nach der Rückkehr Israels aus dem Babylonischen Exil, also etwas mehr als 500 Jahre später. Dazwischen lag der Untergang des Königtums und militärische Niederlagen, die letztlich dazu führten, dass Juda in das Exil verschleppt wurde. Jetzt kamen sie zurück in ihr Heimatland und bauten den Tempel und die Stadt Jerusalem wieder auf. Sie waren den Feinden im Land und am persischen Hof schutzlos ausgeliefert. Obwohl die Chronik ein historisches Buch ist und von der Vergangenheit erzählt, enthält sie gleichzeitig ein Programm für die Zukunft. Wenn das Volk nach dem Exil wieder neu gedeihen sollte, dann mussten sie aus der Chronik lernen. Und zu den wichtigsten Lektionen gehörte: Organisieren und anbetend singen.

Wir brauchen zum Gedeihen immer wieder eine Rückbesinnung auf die Beziehung zu Gott. Eine Konzentration auf Anbetung und Gebet. Und wir sollten uns nicht zufrieden geben mit verstopfter Bürokratie und Ineffizienz. Wir brauchen persönlich und als Gemeinschaft Organisationsstrukturen, die möglichst klug sind.